Seite 05-1 Organische Chemie für Biologen - Vom Methan zu Biomolekülen 05 – Alkene und Alkine Empfehlung: Kapitel 7 + 11-13, Vollhardt/Schore, WILEY-VCH, 2005. Priv.-Doz. Dr. Stefan Immel Universität Leipzig, Wintersemester 2007/2008. Seite 05-2 Alkene und Alkine Eliminierungen Die wichtigste Nebenreaktion zur bereits angesprochenen nucleophilen Substitution von Halogenalkanen (und anderen, mit geeigneten Fluchtgruppen substituierten Alkanen) ist die Eliminierungs-Reaktion, die zur Ausbildung von C=C-Doppelbindungen führt: Eliminierung von H-X Abgangs- / Flucht-Gruppe Ausbildung einer C=C-Doppelbindung entspricht: z.B.: Base H Base H HBr-Eliminierung Reaktionsprodukte von solchen H-X Eliminierungen (oder, wie im unteren Beispiel gezeigt, der Eliminierung von Bromwasserstoffsäure HBr) sind die Alkene (Verbindungen mit C=C-Doppelbindungen), die hier neben den „verwandten“ Alkinen (Verbindungen mit C=C-Dreifachbindungen) behandelt werden sollen. Im Gegensatz zu den Alkanen, bei denen alle C-Atome vollständig mit Wasserstoff abgesättigt sind („gesättigte Kohlenwasserstoffe“), zählen die Alkene und Alkine zu den „ungesättigten Kohlenwasserstoffen“, bei denen die C-Atome nicht die jeweils maximal mögliche Anzahl an H-Atomen binden. Beide Stoffklassen – insbesondere aber die Alkene mit der funktionellen Gruppe der C=C-Doppelbindung – sind von großer Bedeutung – nicht nur für die Organische Chemie, aber auch vor allem für die Biochemie. * Alkene werden häufig auch als Olefine bezeichnet, sowohl Alkane, wie auch Alkene und Alkine gehören aber gemeinsam zu der großen Gruppe der Aliphaten (im Gegensatz zu den Aromaten). Seite 05-3 Alkene und Alkine – Orbitalmodelle Alkane (CnH2n+2) -2 H Alkene (CnH2n) -2 H Alkine (CnH2n-2) C 2H 6 (Ethan) s-Bindung sp 3 sp 3 Geometrie an den C-Atomen: Bindungslänge: Bindungswinkel: Bindungsenthalpie: frei drehbare Bindung Einfachbindung s(C sp3-C sp3) tetraedrisch ~ 153 pm ~ 109.5° ~ 346 kJ / mol p-Bindung s-Bindung sp 2 sp 2 "Gesättigte Kohlenwasserstoffe" "Ungesättigte Kohlenwasserstoffe" Ausführliche Informationen zu den Molekülorbitalen: http://sugar.oc.chemie.tu-darmstadt.de/ak/immel/tutorials/orbitals/molecular.html nicht frei drehbar Doppelbindung s(C sp2-C sp2) + p(C p-C p) 2 p-Bindungen s-Bindung 1. p-Bindung trigonal-planar ~ 134 pm ~ 120.0° 2. p-Bindung ?H ~ 260 kJ / mol ~ 602 kJ / mol ?H ~ 230 kJ / mol sp sp nur C-H und C-C-Einfachbindungen + C=C-Doppelbindungen + C=C-Dreifachbindungen Gesamt-Elektronendichte: sp 2 Dreifachbindung s(C sp-C sp) + 2 x p(C p-C p) linear ~ 121 pm ~ 180.0° ~ 836 kJ / mol Ethan Ethen Ethin Seite 05-4 Alkene und Alkine – Die p-Bindungen Alkene (C nH 2n) Alkine (C nH 2n-2) Ethen Ethin 1 p-Orbital 2 zueinander senkrechte p-Orbitale ? planare Molekülgeometrie ? nicht-rotations-symmetrische Bindung ? keine freie Drehbarkeit entlang der C-C-Bindungsachse ? sehr hohe Aktivierungsbarriere der Rotation von ca. 270 kJ/mol kann bei Raumtemperatur nicht überwunden werden ? lineare Molekülgeometrie Von substituierten Alkenen können Stereoisomere mit unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften beobachtet werden: Cl H d d C H d C d Cl Cl Cl d d C C d d H H ? gegenüberliegende Substituenten ("trans") ? Inversionssymmetrie, Bindungsdipole heben sich auf ? kein Gesamtdipolmoment ? Substituenten auf der gleichen Seite ("cis") ? Bindungsdipole heben sich nicht auf ? Gesamtdipolmoment ? 0 Stereoisomerie der C=C-Doppelbindung (? Konfigurations-Isomere) ? unterschiedliche Dipolmomente ? z.B. unterschiedliche Siedepunkte ? Trennung durch physikalische Methoden http://sugar.oc.chemie.tu-darmstadt.de/ak/immel/tutorials/orbitals/molecular/ethene.html http://sugar.oc.chemie.tu-darmstadt.de/ak/immel/tutorials/orbitals/molecular/ethyne.html Seite 05-5 E/Z-Konfigurations-Isomerie der Alkene E/Z-Nomenklatur Die alte „cis“- („zusammen“) oder „trans“- („entgegengesetzt“) Bezeichnung für die Konfiguration von Doppelbindungen sollte heute wegen vieler Zweideutigkeiten eingeschränkt verwendet werden.* Statt dessen sollte das „E/Z“ System, das – ähnlich wie das R/S-System für die Bezeichnung von Stereozentren – auf dem CIP-System von Prioritätsregeln beruht, benutzt werden.** Im ersten Schritt wird die Doppelbindung in zwei Hälften geteilt, und innerhalb jeder dieser Hälften wird unabhängig mittels der CIP-Regeln der jeweils „höherwertige“ Substituent bestimmt. Stehen nun jeweils die Substituenten höherer Priorität auf der gleichen Seite der Doppelbindung, so erhält diese das „Z“-Präfix (aus dem Deutschen: „zusammen“). Stehen die höherer Priorität allerdings auf entgegengesetzten Seiten, so ergibt sich das „E“-Präfix (aus dem Deutschen: „entgegengesetzt“): Substituent höherer Priorität in dieser Hälfte Substituent höherer Priorität in dieser Hälfte Aufpassen! - Fallstricke: (E)-1,2-Dichlorpropen Teilung der Doppelbindung in zwei Hälften Austausch H gegen Cl kann die Prioritäten ändern! Substituent höherer Priorität in dieser Hälfte Substituent höherer Priorität in dieser Hälfte E-Konfiguration der Doppelbindung (E)-1-Chlorpropen Z-Konfiguration der Doppelbindung (Z)-1-Chlorpropen Zwei Chlor auf einer Seite bedeuten nicht unbedingt (Z)-Konfiguration: (E)-1-Brom-1,2-Dichlorethen * Wir werden sie auch noch oft verwenden wo sie eindeutig ist. ** Zu den Details der Cahn-Ingold-Prelog (CIP) Regeln siehe das Kapitel „Stereochemie“. Seite 05-6 E/Z-Konfigurations-Isomerie der Alkene Stabilität der E/Z-konfigurations-isomeren Alkene Im Fall von 1,2-disubstituierten Alkenen stellen die E/Z-Isomeren unterschiedlich stabile Verbindungen dar – in der Regel sind die Z-konfigurierten Alkene thermodynamisch weniger stabil (d.h. sie sind energiereicher) als die E- Isomere. Da die Drehung um die p-Bindung die Überwindung einer sehr hohen Energiebarriere (ca. 270 kJ/mol) nötig macht, sind die Z-Verbindungen bei Raumtemperatur metastabil, und können nur bei hohen Temperaturen (400-500°C) oder durch photochemische Isomerisierung (durch Bestrahlung oder Licht-induzierte Umwandlung) in die stabileren E-konfigurierten Alkene umgewandelt werden: sterische Abstoßung der Methylgruppen nicht frei drehbare C=C-Doppelbindung (Z)-2-Buten (Licht) (Z)-Diradikal Drehung Da es sich hier um einen Prozess handelt, in dessen Verlauf aus einem energiereicheren (Z)-Alken das stabilere (E)-Alken generiert wird, läuft dieser bei Bestrahlung (intensives UV-Licht) spontan ab. Der umgekehrte Weg, die Isomerisierung hin zum (Z)-Alken ist auf diesem Weg nicht möglich: R R C C H H (Z)-Alken frei drehbare C-C-Einfachbindung (E)-Diradikal (E)-Alken Relaxation stabilere (E)-C=C-Doppelbindung (E)-2-Buten Seite 05-7 E/Z-Konfigurations-Isomerie der Alkene Biologische Bedeutung der E/Z-Konfigurations-Isomerie Die angesprochene Licht-induzierte Isomerisierung einer Doppelbindung ist exakt der Prozess, der im Auge am Retinal abläuft, und uns damit erst das Sehen überhaupt ermöglicht: Vitamin A 11-cis-Retinal (Pigment im Lichtrezeptor Rhodopsin) (Licht) * Ölsäure findet sich nicht nur besonders häufig in höheren Pflanzen, sondern auch in tierischen Fetten aus kalten klimatischen Lebensräumen. 11-trans-Retinal ? Geometrie-Änderung löst dann im Licht-Rezeptor den Nervenimpuls aus Weiterhin spielen ungesättigte Fettsäuren im gesamten Stoffwechsel eine entscheidende Rolle; ca. 90% aller Doppelbindungen in natürlichen Fettsäuren haben überraschenderweise die cis-Konfiguration! Dies äußert sich vor allem im niedrigeren Schmelzpunkt von Pflanzenölen die reich an diesen ungesättigten Fettsäuren sind, im Vergleich zu den gesättigten Fettsäuren der Margarine: die cis-konfigurierten Doppelbindungen verursachen einen „Knick“ in der Kette der Fettsäure, der sich nicht mehr gut in einem Feststoffgefüge stapeln lässt, und in der Folge sind Pflanzenöle flüssig.* COOH Ölsäure (C 18H 34O 2), Schmp. 13°C (Z)-9-Octadecensäure COOH Elaidinsäure (C 18H 34O 2), Schmp. 51°C (E)-9-Octadecensäure Stearinsäure (C 18H 36O 2), Schmp. 69°C Octadecansäure COOH Seite 05-8 Alkene und Alkine Nomenklatur Propan Propen HC C CH 3 Propin (E)-4-Chlorpent-2-en 2-Methyl-1,3-butadien 1-Buten (engl.: But-1-ene) 1-Butin (engl.: But-1-yne) (Z)-4-Brom-2-methylhexa-1,3-dien Die Nomenklatur der Alkene (Doppelbindungen) und Alkine (Dreifachbindungen) folgt in den wesentlichen Punkten der Namensgebung der Alkane, außer dass anstatt der Endung -„an“ (Alkane), die Endungen -„en“ (Alkene, engl.: - „ene“) und -„in“ (Alkine, im Englischen: -„yne“) verwendet werden; mehrere Doppel- und Dreifachbindungen werden durch Zahlwörter „di“, „tri“, etc. angedeutet („dien“, „triin“, usw.). Dann sind ein paar Ergänzungsregeln relevant:* 1. Längste Kette Der Stammname der Verbindung ergibt sich aus der längsten Kette, die möglichst viele Doppelbindungen und Dreifachbindungen enthält – das muss nicht die wirklich längste Kohlenstoffkette im Molekül sein. Die Nummerierung der Kette erfolgt so, dass sich die niedrigsten Positionsziffern für die Mehrfachbindungen ergeben (C=C vor C=C). 2. Substituenten und Mehrfachbindungen Substituenten der Hauptkette werden wie immer mit der Positionsziffer versehen und alphabetisch dem Stammnamen vorangestellt. Die Position der Doppel- und Dreifachbindungen wird – wenn nötig – als einzelne Ziffer (im Deutschen häufig) dem Stammnamen, oder der Endung (in der englischen Literatur) vorangestellt; diese einzelne Ziffer besagt, dass die Mehrfachbindung zwischen dem C-Atom mit dieser Nummer und dem nächsten C-Atom in der Kette lokalisiert ist (z.B. 2-Buten hat die Doppelbindung zwischen C-2 und C-3). 3. Konfigurationsbezeichnungen Die E/Z-Konfigurationsbezeichnungen werden – analog zu den R/S-Regeln – dem Gesamtnamen vorangestellt. (Z)-2-Buten (engl.: (Z)-But-2-ene) (E)-2-Buten (engl.: (E)-But-2-ene) 2-Butin (engl.: But-2-yne) (2E,4E,7Z)-4-Methylnona-2,4,7-trien * Die Details sind dann aber schrecklich: http://www.acdlabs.com/iupac/nomenclature/ Man muss vor allem mit dem Verfahren „Name ? Struktur“ vertraut sein! Seite 05-9 Alkene und Alkine Cyclische Systeme (Z)-Cycloocten H (E)-Cycloocten Cyclooctin (S)-(-)-Limonen (S)-1-Methyl-4-(prop-1-en-2-yl)cyclohex-1-en COOH Malvalinsäure (n = 6) Sterculinsäure (n = 7) Stinkbaum Fettsäuren (Sterculia foetida) Für die Nomenklatur der cyclische Alkene oder Alkine gelten analogen Regeln wie oben beschrieben und wie bereits auch schon im Fall der Cycloalkane erläutert – als wichtigster Punkt ist zu nennen, dass auch hier das Präfix „cyclo“ dem Stammnamen der Verbindung vorangestellt wird. Cyclopropen Cyclopenten Cyclopentadien (lies: Cyclo-penta-di-en) Zu erwähnen ist, das in den kleinen Ringsystemen (n = 7 Atome im Ring) nur cis-konfigurierte Doppelbindungen zu finden sind (hier wird oft einfach die Konfigurationsbezeichnung „Z“ fallen gelassen), weil die C-Ketten zu kurz sind, um einen Ringschluss zu ermöglichen. Trans-Doppelbindungen oder (lineare) Dreifachbindungen führen hier zu einer zu hohen Ringspannung, so dass diese erst ab 8-Ringen zu finden sind.* Weiterhin gibt es sehr viele Naturstoffe, deren Grundgerüst ungesättigte carbocyclische Ringsysteme umfasst. Cyclohexen 1,3-Cyclohexadien 1,4-Cyclohexadien 1,3,5,7-Cyclooctatetraen (lies: Cyclo-octa-tetra-en) * (E)-Cycloocten ist eine chirale Verbindung, nicht aber das (Z)-Isomere oder Cyclooctin! Warum? Ich bin gespannt ob mir dafür jemand eine Erklärung liefern kann *grins*. Calicheamycin (Antitumor Mittel) Seite 05-10 Alkene und Alkine Physikalische Eigenschaften X = Abgangsgruppe X a X R2 X a H R2 (Basen) - HX (Basen) - HX X R 2 (Basen) - HX Da es sich bei den Alkenen und Alkinen um Kohlenwasserstoffe handelt, stellen diese in Analogie zu den Alkanen unpolare (hydrophobe oder lipophile) Verbindungen dar, die nicht mit Wasser mischbar sind. Die niedermolekularen Vertreter dieser Stoffklassen sind gasförmig oder leichtflüchtig (Siedepunkte Ethan: -89°C, Ethen = Ethylen: -104°C, Ethin = Acetylen: -84°C unter Sublimation), und bilden mit Luft oder Sauerstoff hochexplosive Gemische. Insbesondere Ethin besitzt eine sehr hohe Verbrennungsenthalpie und erzeugt Flammentemperaturen von >2500°C, so dass es beim Schweißen eingesetzt wird (Acetylen-Brenner). Synthese Die wichtigste Synthesemethode zur Darstellung von Alkenen und Alkinen stellt die Eliminierung dar, die bereits als Nebenreaktion der nucleophilen Substitution angesprochen wurde. Unter geeigneten Bedingungen, kann man diese Reaktion auch zur „gewünschten“ Hauptreaktion machen: X = Abgangsgruppe R1 R3 H X a R4 R2 (Basen) - HX Zu beachten bei der Synthese von Alkinen ist, dass zur Generierung der Dreifachbindung zwei Equivalente HX eliminiert werden müssen (d.h. es müssen zwei Abgangsgruppen X und zwei benachbarte Protonen im Edukt vorhanden sein): Alkene (u.U. als E/Z-Gemisch) Alkine * Man spricht auch von 1,2-Eliminierungen oder ß-Eliminierungen, da relativ zur Abgangsgruppe in Position 1 (oder a), das H-Atom (Proton) aus der benachbarten Position 2 (oder ß) stammt. Seite 05-11 Eliminierungen und Nucleophile Substitution Konkurrenzreaktionen Die Tatsache, dass Eliminierungen oft als Nebenreaktionen zur nucleophilen Substitution auftreten, liegt in den molekularen Mechanismen der Reaktionen begründet: Erstens sind Nucleophile immer auch mehr oder weniger starke Basen,* die neben der Substitution auch die Eliminierung einleiten können, und zweitens folgen Eliminierungen und Substitution sehr eng verwandten Mechanismen: Die Konkurrenzreaktionen E2 und S N 2: S N 2 Angriff an C-ß Angriff an C-a Base Nucleophil Die Konkurrenzreaktionen E1 und S N 1: S N 1 Angriff an C-ß Angriff an C-a Base Nucleophil Gleichzeitiger Angriff der Base B - und Austritt von X - Eliminierung Gleichzeitiger Angriff des Nucleophils Nu - und Austritt von X - Nucleophile Substitution Angriff der Base B - nach Austritt von X - Eliminierung Angriff des Nucleophils Nu - nach Austritt von X - Nucleophile Substitution Base H Base H * Zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen Nucleophilie und Basizität siehe: Kapitel 4 – Halogenalkane Nucleophil Nucleophil Seite 05-12 Eliminierungen – Die Mechanismen E1 und E2 Eliminierungen: der E1 und E2 Mechanismus ‡ H C H C H Gleichzeitiger Angriff der Base (B - ) und Austritt von X - E2-Mechanismus ? 2 Teilchen im Geschw.-bestimmenden ÜZ ? bimolekulare Reaktion 2. Ordnung ? Geschwindigkeitsgesetz v = k 2 [ B ] [ X ] mit v k 2 [ B ] [ X ] Reaktionsgeschwindigkeit [mol l -1 s -1 ] Geschwindigkeitskonstante 2. Ordnung [l mol -1 s -1 ] Konzentration desr Base [mol l -1 ] Konzentration des Substrates R 3CX [mol l -1 ] ÜZ (Austritt von X) E1-Mechanismus ? 1 Teilchen im Geschw.-bestimmenden ÜZ ? unimolekulare Reaktion 1. Ordnung ? Geschwindigkeitsgesetz v = k2 [ X ] mit v k 1 [ X ] Geschwindigkeitsbestimmender Schritt Reaktionsgeschwindigkeit [mol l -1 s -1 ] Geschwindigkeitskonstante 1. Ordnung [s -1 ] Konzentration des Substrates R 3CX [mol l -1 ] bevorzugter anti-periplanarer ÜZ mit noch nicht ganz ausgebildeter C=C ÜZ = Übergangszustand ZS = Zwischenstufe C ‡ Gleichzeitiger Austritt von H C C X C + X + und X- B H und Bildung von C=C B H + Geschwindigkeitsbestimmender Schritt Rotation um C-C Bindung möglich Trigonal-planare (sp 2) ZS mit "3-bindigem" Kohlenstoff (Carbeniumion) schnell Vorderseitenangriff von B Rückseitenangriff von B bevorzugt trans-Eliminierung ? Stereoselektive Reaktion - BH - BH oder Summe führt zur Bildung von cis- und trans-Alkenen ? Stereounspezifische Reaktion cis- Eliminierung trans- Eliminierung Anmerkung: vergleiche dieses Schema mit der nucleophilen Substitution S N 1/S N 2 –Kapitel 4! Seite 05-13 Eliminierungen – Energieprofile E1 und E2 Charakteristika der Eliminierung: der E1 und E2 Mechanismus Energie Geschwindigkeits-bestimmender ‡ Schritt (Austritt von X ‡ oder ‡ - C ) H C C C X H B H C cis oder trans + B H Übergangszustand (ÜZ) Aktivierungs- Energie E A Zwischenstufe (Carbeniumion) Geschwindigkeits-bestimmender Schritt (gleichzeitiger Angriff von B - und Austritt von X - ) E1 E2 B C X Ausgangsstoffe (Edukte) Übergangszustand Aktivierungs- Energie E A Energieprofil E1-Reaktion Energieprofil E2-Reaktion Produkte Produkte E1-Reaktion (unimolekulare Eliminierung) ? Austritt von X - vor dem Angriff der Base B - ? 1 Teilchen im Geschw.-bestimmenden ÜZ (unimolekulare Reaktion) ? Schrittweise Reaktion mit beobachtbarer ZS (und 2 ÜZ) ? Trigonal-planare ZS (sp 2) mit "3-bindigem" Kohlenstoff (Carbeniumion) ? Angriff der Base von 2 Seiten möglich ? cis/trans-Gemische ? Polarer ÜZ, da Ladung zwischen C-X erzeugt wird (heterolytisch) ÜZ = Übergangszustand ZS = Zwischenstufe E2-Reaktion (bimolekulare Eliminierung) ? Angriff der Base B - und Austritt von X - gleichzeitig ? 2 Teilchen im Geschw.-bestimmenden ÜZ (bimolekulare Reaktion) ? Konzertierte Reaktion ohne ZS (nur ÜZ) ? Konzertierter ÜZ mit partieller C=C-Doppelbindung ? Rückseitenangriff der Base ? 1,2-anti-Eliminierung ? Unpolarer ÜZ, da die Ladung von B - auf B-H-C-C-X verteilt wird Anmerkung: vergleiche dieses Schema mit der nucleophilen Substitution S N 1/S N 2 –Kapitel 4! Seite 05-14 Eliminierungen – Orbitalmodelle für E1 und E2 E2-Mechanismus Edukte Edukte Abb.: © Vollhardt/Schore, WILEY-VCH, 2005. Übergangszustand H3C H3C H3C H3C Produkte Carbeniumion Produkte Zwischenstufe Edukte Übergangszustand Produkte Carbeniumion Übergangszustand Produkte Anmerkung: vergleiche dieses Schema mit der nucleophilen Substitution S N 1/S N 2 –Kapitel 4! Seite 05-15 Eliminierungen – Stereoselektivität für E1 und E2 Geometrie im Übergangszustand konformativer Anker tert-Butyl cis-1-tert-Butyl-4-chlorcyclohexan trans-1-tert-Butyl-4-chlorcyclohexan OCH 3 Newman- Projektion: Newman- Projektion: OCH 3 schnelle anti-Eliminierung OCH 3 - HOCH 3, - Cl keine syn-Eliminierung OCH 3 Produkt 4-tert-butyl-1-cyclohexen Die Orbitalmodelle verdeutlichen einen wesentlichen Unterschied zwischen den Mechanismen E1 und E2: ? E2 Eliminierungen sind einstufige (konzertierte) Prozesse, bei denen alle Bindungen gleichzeitig gebrochen bzw. gebildet werden. Angriff der Base und Austritt der Abgangsgruppe X erfolgen auf gegenüberliegenden Seiten des Moleküls – man spricht auch von einer 1,2-anti-Eliminierung, oder einer trans-Eliminierung: Anmerkung: Die Bezeichnung „trans-Eliminierung“ (oder besser: „anti-Eliminierung“) bezieht sich ausschließlich auf die Orientierung der Abgangsgruppe relativ zum angegriffenen ß-H-Atom (Abgangsgruppe und H-Atom stehen „anti“ oder „trans“), nicht aber auf die Konfiguration des gebildeten Produkts! Wie in diesem Beispiel deutlich wird, führt die trans-Eliminierung hier zum cis-konfigurierten (Z)-Alken! Seite 05-16 Eliminierungen – Stereoselektivität für E1 und E2 konformativer Anker tert-Butyl cis-4-tert-Butylcyclohexanol trans-4-tert-Butylcyclohexanol (konz. H 2SO 4) (konz. H 2SO 4) ? E1 Eliminierungen sind mehrstufige Prozesse, über die (tatsächlich beobachtbare und nachweisbare) Zwischenstufe des Carbeniumions. Da sich alle C-C-Bindungen am planaren Carbeniumion frei drehen können, gibt es keinen Zusammenhang zwischen der Seite des Moleküls auf der die Abgangsgruppe X austritt, und der Seite auf der die Base angreift. Im Gegensatz zu der Eliminierung ausgehend von 1-tert-Butyl-4-chlorcyclohexan (siehe Beispiel vorherige Seite) läuft die Säure-katalysierte E1 Eliminierung von Wasser aus den konfigurations-isomeren Cyclohexanolen mit vergleichbaren Geschwindigkeiten ab, da hier die gemeinsame Zwischenstufe des Carbeniumions durchlaufen wird: gemeinsame Zwischenstufe des Carbeniumions schnell - H 2O - H 2O schnell 4-tert-butyl-1-cyclohexen Seite 05-17 Eliminierung contra Nucleophile Substitution Konkurrenzreaktionen Nucleophile Substitution möglich oder wahrscheinlicher 1. Basenstärke H2O ROH Hal RS CN HO RO H2N 2. Sterische Hinderung am Alkyl-X Edukt 3. Sterische Hinderung am Nucleophil oder an der Base Wasser Alkohole PR 3 Phosphane Halogenide Sulfide Cyanid NR 3 Amine Da Eliminierung und nucleophile Substitution als Konkurrenzreaktionen auftreten können, ist es nicht immer ganz einfach zu entscheiden, welcher Prozess der dominierende ist und welche Produktverteilung auftritt. In der Regel ist es einfacher, relative Tendenzen im direkten Vergleich zweier Systeme abzuschätzen, als exakte Produktverhältnisse vorherzusagen. Hier die wichtigsten Faktoren, die die Selektivität zwischen Eliminierung und Substitution beeinflussen: 1. Basizität Je stärker die Basizität eines Nucleophils ist, umso eher findet Eliminierung statt. 2. Sterische Hinderung am reagierenden Kohlenstoffatom Je höher das C-Atom substituiert ist, das die Abgangsgruppe trägt, um so eher tritt Eliminierung ein. 3. Sterische Hinderung am basischen Nucleophil Je größer und sterisch anspruchsvoller ein basisches Nucleophil ist, desto eher dominiert die Eliminierung. Eliminierung möglich oder wahrscheinlicher Hydroxid Alkoholate Amid schwache Basen starke Basen R R R H C X H C X R C X H primär R sekundär R tertiär kaum sterische Hinderung starke sterische Hinderung Hydroxid Methanolat Ethanolat Amid K-tert-butanolat kleine, sterisch wenig anspruchsvolle Nucleophile und Basen große, sterisch sehr anspruchsvolle Basen R 2N Amide 2 Li-diisopropylamid (LDA) Seite 05-18 Eliminierung und Nucleophile Substitution Beispiele 2-Brom-2-methylpropan (= tert-Butylbromid, ein tertiäres Halogenalkan) reagiert mit Wasser oder Methanol (beides sind schwache Basen und auch schwache Nucleophile) bevorzugt unter S N 1 Substitution (typisch für tertiäre Halogenalkane), daneben findet in geringerem Ausmaß die Eliminierung E1 statt:* 2-Brom-2-methylpropan In Gegenwart von starken Basen (vor allem in hohen Konzentrationen) findet allerdings die schnellere E2 Eliminierung statt, wobei das Eliminierungsprodukt das gleiche wie im oben beschrieben Fall ist: 2-Brom-2-methylpropan E2 Eliminierung - H 3C-OH, - Br * Formulieren Sie alle Mechanismen einmal vollständig aus! 2-Methyl-1-propen Unter stark sauren Bedingungen (oder anders ausgedrückt: in Abwesenheit von starken Basen oder guten Nucleophilen) reagieren vor allem tertiäre Alkohole unter E1 Eliminierung von Wasser (H 2 O) zu den entsprechenden Eliminierungsprodukten: tert-Butanol - Br (konz. H 2SO 4) tertiäres Carbeniumion gute Abgangsgruppe Wasser - H 2O 2-Methyl-1-propen tertiäres Carbeniumion E1 Eliminierung (~ 20%) 2-Methyl-1-propen S N 1 Substitution (~ 80%) E1 Eliminierung Seite 05-19 Eliminierung und Nucleophile Substitution 1-Brompropan (ein primäres, sterisch wenig gehindertes Halogenalkan) reagiert mit der ebenfalls sterisch wenig anspruchsvollen, starken Base Natriumethanolat (NaOC2H5 = NaOEt) vorwiegend unter Substitution, mit Kalium-tertbutanolat (KOtBu, einer sterisch sehr großen und starken Base) dominiert aber die Eliminierung. Analog verhält sich 2- Brompropan (ein sekundäres Halogenalkan), allerdings sind hier die Eliminierungsprodukte in beiden Fällen dominierend (sekundäre Halogenalkane sind am angegriffenen C-Atom sterisch anspruchsvoller, und damit ist die Eliminierung im Vergleich zu 1-Brompropan wahrscheinlicher): Br O Na OEt Na OEt Br O 1-Brompropan 1-Brompropan EtOH (Lösungsmittel) - NaBr K OtBu HOtBu (Lösungsmittel) - KBr Aus den beschriebenen mechanistischen Details der Eliminierungen bzw. nucleophilen Substitutions-Reaktionen ergibt sich die nebenstehende Abschätzung für die Reaktivität von Halogenalkanen in Abhängigkeit der Substrat-Struktur:* S N 2 (90%) E2 (10%) S N 2 (15%) E2 (85%) R Hal R H C H R H C R R R C R methyl primär sekundär tertiär EtOH (Lösungsmittel) - NaBr 2-Brompropan 2-Brompropan keine Reaktion keine Reaktion S N 1/E1 (langsam) S N 1/E1 K OtBu HOtBu (Lösungsmittel) - KBr S N 2 S N 2 S N 2 S N 1/E1 S N 2 (15%) E2 (85%) kein S N 2 Produkt E2 (100%) schwache Base, schwaches Nu- starkes Nu- starke Base, ungehindert Nu- starke Base, gehindert Nu- (z.B. H2O) (z.B. Iodid I- ) (z.B. CH3O- ) (z.B. tBuO- ) * Die Frage nach der Konkurrent von Eliminierung und Substitution stellt sich nicht, wenn keine ß-H-Atome vorhanden sind die eliminiert werden können – wie z.B. im Fall von Methylhalogeniden. S N 2 S N 2 S N 2 Seite 05-20 Regioselektivität von Eliminierungen Bildung von konstitutions-isomeren Eliminierungsprodukten Während bei Substitutionsreaktionen (vor allem bei SN2-Reaktionen) die Konstitution des zu erwartenden Produkts eindeutig ist – der Angriff des Nucleophils muss zwangsläufig an dem C-Atom erfolgen, das die Abgangsgruppe trägt – taucht bei Eliminierungen häufig eine neue Frage auf: liegen mehrere, nicht equivalente ß-H-Atome vor, die angegriffen werden können, ist die Frage der Regioselektivität zu untersuchen. Je nachdem an welchem ß-H-Atom die Base angreift – und das gilt sowohl für E1 wie auch für E2 Eliminierungen – muss berücksichtigt werden, dass sich die Doppelbindung in unterschiedlichen Positionen ausbilden kann, und damit zu konstitutions-isomeren Produkten führen kann: Br Br Angriff an H-ß' oder H-ß'' H O C2H5 E2 Eliminierung 30% Bei Eliminierungen ist in der Regel das thermodynamisch stabilere, an der C=C- Doppelbindung höher substituierte Alken (Saytzev-Produkt) auch das Hauptprodukt: ? 3 Substituenten ? H an der Doppelbind. ? thermodynamisch stabiler ? Saytzev-Produkt - NaBr - C 2H 5OH E2 Eliminierung - NaBr - C 2H 5OH 2-Methyl-1-penten 2-Methyl-2-penten statistisch erwartet: 75% statistisch erwartet: 25% ? 2 Substituenten ? H an der Doppelbind. ? thermodynamisch weniger stabil ? Hofmann-Produkt Man bezeichnet die Produktverteilung solcher Reaktionen auch als Regioselektivität (engl.: regioselectivity), da die Konstitution der Produkte davon abhängt , welche „Molekülregion“ angegriffen wird. Zu unterscheiden hiervon ist die Frage der Stereoselektivität (engl.: stereoselectivity) einer Reaktion, die untersucht ob Produkte unterschiedlicher Konfiguration (unterschiedlicher Stereochemie) gebildet werden (siehe Beispiel unten). * In der Organischen Chemie – und auch in der Biochemie – muss streng nach Regio- und Stereoselektivität unterschieden werden! Seite 05-21 Regioselektivität von Eliminierungen (konz. H 2SO 4) E1 Eliminierung - H 2O - H Auch bei E1 Eliminierungen ist das höher substituierte Alken, das Saytzev-Produkt, in der Regel das Hauptprodukt: Hauptprodukt Nebenprodukt ? Saytzev-Produkt ? Hofmann-Produkt Lediglich bei Verwendung sterisch sehr anspruchsvoller Basen wie dem bereits angesprochenen Kalium-tert-butanolat (KOtBu) kann der Angriff an der höher substituierten Position soweit sterisch soweit gehindert sein, dass das thermodynamisch weniger stabile Hofmann-Produkt zum Hauptprodukt wird (vergleiche das weiter vorne schon erwähnte Beispiel): Na OEt sterisch "kleine" Base Hauptprodukt ? Saytzev-Produkt 1-Brompropan K OtBu sterisch "sehr große" Base Hauptprodukt ? Hofmann-Produkt Vielleicht ist an diesem Punkt bereits aufgefallen, dass in allen bisher angeführten Beispielen lediglich die Bildung konstitutions-isomerer Alkene (Regioisomere) zu berücksichtigen ist, in keinem Fall war die Bildung von cis/trans (d.h. E/Z) konfigurations-isomerer Alkene (Stereoisomere) zu erwarten. Die oben angeführten Regeln zur Regioselektivität lassen sich aber auch auf die Stereoselektivität übertragen: Im allgemeinen ist auch hier das thermodynamisch stabilere trans-Alken gleichzeitig auch das Hauptprodukt – sowohl bei E1 wie auch bei E2 Eliminierungen. Seite 05-22 Stereoselektivität von Eliminierungen Beispiele E2 Eliminierung Na OEt sterisch "kleine" Base Konfigurations-Isomere Konstitutions-Isomere (E)-2-Penten (Z)-2-Penten 1-Penten 51% 18% 31% trans (stabiler) Hauptprodukt cis (weniger stabil) E1 Eliminierung (konz. H 2SO 4) Konfigurations-Isomere + (E) (Z) 95% 5% ? Regioselektivität ? Stereoselektivität Zu beachten ist in den gezeigten Beispielen insbesondere der Unterschied zwischen konstitutions-isomeren und konfigurations-isomeren Produkten: Wie im Kapitel „Stereochemie“ schon dargelegt, beschreibt der Begriff Konstitution die Verknüpfungsreihenfolge der Atome und die Art der Bindungen zwischen ihnen (hier: die Lage der Doppelbindungen im Kohlenstoffgerüst). Die Konfiguration beschreibt die Lage der Atome zueinander (Stereochemie, 3D-Geometrie), in diesen Beispielen also die cis- oder trans-Geometrie der Doppelbindungen! Seite 05-23 Eliminierungs-Mechanismen Zusammenfassung Alle Eliminierungs-Mechanismen unterscheiden sich im wesentlichen in der zeitlichen Reihenfolge in der der Austritt der Fluchtgruppe (X), und der Angriff der Base oder des Nucleophils (B) erfolgen: gleichzeitig (E2, sehr häufig), X vor B (E1, häufig), oder – hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt – B vor X (E1cb, selten).* Insbesondere für die häufig wiederkehrenden Mechanismen E1 und E2 sollte man sich vergewissern, dass sich die Produkteigenschaften, die Reaktivitäten und Selektivitäten in entsprechenden Reaktionen, und die stereochemischen Zusammenhänge direkt aus den Mechanismen und ihrer vorhandenen oder nicht vorhandenen Zwischenstufen, sowie den dazugehörenden Übergangszuständen ergeben! E2 Eliminierung Base Gleichzeitiger Angriff der Base B - und Austritt von X - E1 Eliminierung Austritt von X - vor Angriff der Base B - E1cB Eliminierung Base keine Zwischenstufe Base Zwischenstufe: Carbeniumion Base H + Austritt von X - nach Angriff der Base B - Zwischenstufe: Carbanion Base H Base H Base H * Hier erfolgt erst Abspaltung eines Protons (H + ) unter Ausbildung eines Carbanions (negativ geladenes Ion), und anschließend erst Abspaltung der Fluchtgruppe („cb“= conjugate base). Seite 05-24 Alkine Darstellung durch Eliminierung Alkine lassen sich ebenfalls über Eliminierungs-Reaktionen darstellen, wobei aber zu beachten ist, dass zur Generierung der C=C-Dreifachbindung zwei Abgangsgruppen und jeweils zwei benachbarte ß-H-Atome vorhanden sein müssen. Allerdings können die Abgangsgruppen durchaus entweder an benachbarten (vicinal) C-Atomen, oder aber auch am selben (geminal) C-Atom gebunden sein: geminale Abgangsgruppen (a,a-Substitution) vicinale Abgangsgruppen (a,ß-Substitution) X a X R2 X a H R2 X = Abgangsgruppe z.B. Dihalogenalkane (Basen) - HX Die Reaktion erfolgt stufenweise über die Zwischenprodukte der Alkene, wobei insbesondere für die Zweit- Eliminierung (Alken ? Alkin) starke Basen wie z.B. Kalium-tert-butanolat (KOtBu in tert-Butanol) oder Natriumamid (NaNH 2 in flüssigem NH 3 ) erforderlich sind: KOtBu HOtBu (Basen) - HX X R 2 Alkene (Basen) - HX NaNH 2 Alkine flüssiges NH 3 H Seite 05-25 Additionsreaktionen Das Pendant zur Eliminierung: die Addition Wie in der Einleitung dargelegt, sind die Bindungsenergien von C=C-Doppel- und C=C-Dreifachbindungen (p- Bindungen) niedriger als die Summe einer entsprechenden Anzahl von Einfachbindungen (s-Bindungen). Die Bildung von Alkenen und Alkinen durch Eliminierungsreaktionen wird im allgemeinen durch die hohe Triebkraft der Salzbildung zwischen angreifender Base und austretender Abgangsgruppe ermöglicht (z.B. entsteht ? NaBr bei der Basen-induzierten (NaOH) HBr-Eliminierung aus Bromalkanen). Umgehrt kann der Bruch von p-Bindungen unter Bildung neuer s-Bindungen zu einem Energiegewinn führen: dieser der Eliminierung umgekehrte Prozess bezeichnet die Addition an Alkene und Alkine: Addition von Teilchen X- Y (s-X-Y-Bindung) an die p-Bindung von Alkenen und Alkinen erfolgt unter Ausbildung von zwei neuen C-X und C-Y s- Bindungen (in der Summe ergibt sich für diesen Prozess: p + s?s+ s + Energiegewinn): p R R Alkine X s Y X R s Y s R + R s X Y s R und R R p R R X s Y X s R R R R s Y (cis) Alkene (trans) Alkene Alkane Additions-Reaktionen sind nicht nur in der Organischen Chemie bedeutend, sondern besitzen ebenfalls eine herausragende Stellung in der gesamten Biochemie. Es soll hier bereits erwähnt werden, das sich Additionsreaktionen nicht nur auf C=C-Doppelbindungen beschränken, sondern analog auf andere Doppelbindungen des allgemeinen Typus X=Y anwendbar sind. Die gesamte Bandbreite der Chemie der noch zu behandelnden Carbonylverbindungen (Carbonylverbindungen enthalten C=O-Doppelbindungen) lässt sich prinzipiell auf die Addition an C=O- Doppelbindungen zurückführen. Seite 05-26 Additionsreaktionen – Hydrierung Katalytische Hydrierung von Doppelbindungen Pt-Metall-Oberfläche Adsorption Reaktion + H2 Pt-Metall-Oberfläche Pt-Metall-Oberfläche molekularer Wasserstoff adsorbierter "atomarer" H2 (aktivierter Wasserstoff) R R R R Katalysator- Substrat- R R Regeneration Anlagerung H H R R Pt-Metall-Oberfläche R R s H H p H H s R R R R R Alkene Alkane R Das einfachste Beispiel einer Additionsreaktion an Alkenen ist die Hydrierung mit molekularem Wasserstoff H2 . Da Wasserstoff allerdings unter normalen Bedingungen nicht mit Doppelbindungen reagiert, weil die Reaktion eine sehr hohe Aktivierungsbarriere besitzt, muss zur Reaktionsbeschleunigung ein Katalysator eingesetzt werden. Hier haben sich Edelmetalle wie Platin (Pt), Palladium (Pd), aber auch aktivierte Metalle wie z.B. Nickel (Ni, in Form des besonders aktiven und fein verteiltem Raney-Nickel) bewährt. unkatalysierte Reaktion Katalytische s Hydrierung katalysierte Reaktion (Nettoreaktion) Pt/Pd-Katalysator Übergangszustand Zustand A Energie Aktivierungs- Energie E A Energieunterschied ?G Zustand B Wirkungsweise eines Katalysators: ? Reaktionsbeschleunigung durch Absenkung der Aktivierungsbarriere ? Energieunterschied A ? B bleibt unverändert ? Ein Katalysator ermöglicht keine thermodynamisch "ungünstige" Reaktion, er wirkt nur auf die Kinetik ? Der Katalysator wird in der Summe nicht chemisch "verbraucht" (Regeneration) Beispiele für Katalysatoren: ? Metallische Hydrierungskatalysatoren ? Enzyme als biochemische Katalysatoren Seite 05-27 Additionsreaktionen – Hydrierung 2-Hexin 2-Hexin + H 2 + H 2 Lindlar-Katalysator (Z)-2-Hexen (Z)-2-Hexen + H 2 + H 2 Lindlar-Katalysator n-Hexan Katalysatoraktivität unzureichend für Weiterreaktion Das Katalysatormodel zeigt, dass es sich bei der Hydrierung um eine cis-Addition von Wasserstoff handelt – d.h. beide H-Atome werden auf die gleiche Seite des Alkens übertragen: + H 2 Pd-Katalysator Analog lassen sich Alkine hydrieren, wobei die Zwischenstufe des Alkens normalerweise gleich zum Alkan weiterhydriert wird. Mit speziellen, partiell vergifteten Katalysatoren (Lindlar-Katalysator), kann die Katalysatoraktivität so gesteuert werden, dass selektiv nur das reaktivere Alkin hydriert wird, und die Reaktion dann aber auf der Stufe des weniger reaktiven Alkens stehen bleibt. Auch hier werden die Wasserstoffatome an der Katalysatoroberfläche auf die gleiche Molekülseite, unter stereospezifischer Ausbildung von cis-Alkenen übertragen: nicht: Lindlar-Katalysator: ? Pd auf CaCO 3, vergiftet mit Pb(OAc) 2 (Bleiacetat) oder Chinolin Seite 05-28 Additionsreaktionen – Hydrierung Härten von Fetten Enzym-Cofaktor NADP ACP NH 2 NADPH (reduzierte Form) engl.: nicotinamide adenine dinucleotide phosphate engl.: acyl carrier protein NH 2 Säuren + H H NADP entspricht formal "H2" (oxidierte Form) wachsende Fettsäurekette S ACP S ACP Die technische Hydrierung von Fetten (pflanzlichen Öle ? Margarine) beruht auf einer Hydrierung der ungesättigten Fettsäuren in den Pflanzenölen – da die resultierenden gesättigten Fettsäuren einen höheren Schmelzpunkt besitzen als die ungesättigten (siehe Diskussion weiter vorne; Margarine ist fest, Pflanzenöle flüssig) spricht man von der Fetthärtung: Ölsäure (C 18H 34O 2), Schmp. 13°C (Z)-9-Octadecensäure Biochemische Hydrierung (Reduktion) + H 2 COOH Stearinsäure (C 18H 36O 2), Schmp. 69°C Octadecansäure Im Rahmen der biochemischen Synthese von Fettsäuren müssen ebenfalls C=C-Doppelbindungen hydriert werden. Da aber molekularer Wasserstoff schwer zu speichern und zu aktivieren ist, hat die Natur ein elegantes „H 2 -Equivalent“ entwickelt, mit dessen Hilfe sich ungesättigte Fettsäuren zu gesättigten Fettsäuren reduzieren lassen: COOH Enoyl-ACP-Reduktase Seite Energie 05-29 Additionsreaktionen – Hydrierung Hydrierwärmen als Maß für Bindungsenergien 1-Buten (Z)-2-Buten -7.1 kJ/mol (E)-2-Buten -4.2 kJ/mol Energieunterschiede ??H + H 2 -129.9 kJ/mol + H 2 -119.8 kJ/mol + H 2 -115.6 kJ/mol Hydrierwärme (Enthalpie) ?H Elektrophile Additionen Die Orbitalmodelle der C=C-Doppelbindung (siehe dieses Kapitel, Einleitung) haben gezeigt, dass die Elektronendichte der C=C-Doppelbindung am höchsten über- und unterhalb der Ebene der Doppelbindung sind. Es ist daher zu erwarten, dass C=C-Doppelbindungen bevorzugt elektrophil angreifbar sind, und dass der Angriff von „oben“ bzw. von „unten“ auf die Doppelbindung erfolgt. In der Tat folgen die mit Abstand häufigsten Reaktionen von C=C- Doppelbindungen, die im folgenden behandelt werden sollen, dem Mechanismus der Elektrophilen Addition.* Referenzpunkt n-Butan Die bei Hydrierungen freiwerdende Energie kann als Maß für die relative Stabilität von Verbindungen und Bindungsenergien herangezogen werden, wenn man sie Werte auf einen gemeinsamen Standard bezieht: ? die höher substituierten 2-Butene sind um 7.1 bzw. 4.2 kJ/mol stabiler als 1-Buten (Saytzev-Regel) ? die trans-substituierte Doppelbindung ist um 4.2 kJ/mol stabiler als die cis-Form * Elektrophil = Positiv geladene oder polarisierte, und daher „Elektronen-liebende“ Teilchen, die bevorzugt negativ geladene oder polarisierte Positionen angreifen. Ethen Seite 05-30 Elektrophile Addition – Halogenwasserstoffsäuren Halogenwasserstoffsäuren Die Addition von Halogenwasserstoffsäuren HI (Iodwasserstoffsäure), HBr (Bromwasserstoffsäure) und HCl (Salzsäure) – nicht aber HF (Flusssäure) – an Alkene wird eingeleitet durch den elektrophilen Angriff eines Protons auf die Doppelbindung unter Ausbildung eines Carbeniumions. Diese Zwischenstufe wird dann nucleophil vom Halogenid abgefangen, wobei sich das entsprechende Halogenalkan bildet: Alken H H X H H X H H = Halogenalkan X H X = Cl, Br, I H Carbeniumion H X Wenn sich im ersten Angriffsschritt (Alken + H + ? Carbeniumion) regioisomere Zwischenstufen bilden können, so besagt die Regel von Markovnikov, dass die Reaktion bevorzugt über das stabilere Carbeniumion verläuft (Stabilität von Carbeniumionen: primär < sekundär < tertiär):* tertiäres Carbeniumion ist stabiler ? einziges Produkt Alken Carbeniumion tertiäres primäres tertiäres primäres Halogenalkan primäre Carbeniumion ist weniger stabil ? wird nicht gebildet Die elektrophile Addition von Halogenwasserstoffsäuren wird in der Regel in inerten Lösungsmitteln unter Einleitung der gasförmigen Säure durchgeführt. In wässriger Lösung findet ansonsten bevorzugt die Hydratisierung (Addition von Wasser an das Carbeniumion, siehe unten) statt. * Die Markovnikov-Regel besagt, dass bei der Addition von Halogenwasserstoffsäuren das höher substituierte Halogenalkan entsteht (Erklärung über die Stabilität der intermediären Carbeniumionen). Seite 05-31 Elektrophile Addition – Halogenwasserstoffsäuren (S)-(-)-Limonen (chirale Verbindung) Alkin + HI + HBr + HBr tertiäres Carbeniumion Verlust der Chiralität !!! (achirale Verbindung) cis/trans-Gemisch "Oberseitenangriff" "Unterseitenangriff" Die planare (sp 2 -hybridisierte) Zwischenstufe des Carbeniumions ist es auch, die die Stereochemie dieser Additions- Reaktion bestimmt: wirken keine, oder nur relativ weit entfernte sterische Einflüsse abschirmend auf das Carbeniumion, so ist mit der Bildung einer Produkt-Mischung und der Bildung von Konfigurations-Isomeren zu rechnen:* + HBr Br Br Gemisch von Konfigurations-Isomeren Alkine reagieren analog den Alkenen unter zweifacher (stufenweiser) Addition, oft kann das Mono-Additionsprodukt nicht in reiner Form erhalten werden, da die Zweit-Addition vergleichsweise schnell verläuft. Die Regioselektivität der Addition folgt der oben beschriebenen Markovnikov-Regel unter Bildung der jeweils stabilsten Carbeniumionen- Intermediate:** + HI I I I I sekundäres Carbeniumion Iodalken sekundäres Carbeniumion geminales Diiodalkan (2,2-Diiod-4,4-dimethylpentan) * Untersuchen Sie die Stereochemie der zweiten Beispiel-Reaktion am Modell! ** Verdeutlichen Sie sich sehr eingehend diese Kurzschreibweisen! Seite 05-32 Elektrophile Addition – Hydratisierung Addition von Wasser Hydratisierungen, d.h. die Addition von Wasser an C=C-Doppelbindungen laufen nicht spontan ab: zum einen sind Alkene (ohne weitere funktionelle Gruppen) unpolare, mit Wasser nicht mischbare Substanzen, zum anderen ist Wasser (und das O-Atom) kein Elektrophil wie für die Addition an C=C benötigt, sondern ein Nucleophil. Führt man die Reaktion von Alkenen mit Wasser allerdings Säure-katalysiert – zum Beispiel in verdünnter Schwefelsäure (H 2 SO 4 ) – durch, so läuft die Hydratisierung nach dem Mechanismus der elektrophilen Addition analog der Addition von Halogenwasserstoffsäuren (siehe oben) ab: H2SO4 2 SO4 + 2 H Nucleophil H2O Katalysator H (verdünnt) Alken H CH3 Protonenquelle H H H H2SO4 CH3 (verdünnt) Carbeniumion H O H H O H CH3 Protonenabgabe - H OH CH3 Alkohol Eliminierung Verschiebung der Gleichgewichtslage durch: ? verdünnte Schwefelsäure (großer Überschuss von Wasser) ? niedrige Temperatur ? konzentrierte Schwefelsäure (Abfangen von Wasser) ? hohe Temperatur (abdestillieren des Alkens) Wichtig ist die Tatsache, dass die Protonen hier nur als Katalysator wirken – sie werden weder verbraucht, noch in der Gesamtreaktion chemisch „verändert“ – und am Ende der Reaktion wieder „regeneriert“, gleichzeitig senken sie aber die Aktivierungsbarriere so deutlich, dass die Reaktion schnell abläuft – unkatalysiert findet keine Reaktion statt.* * Diese Kriterien – Senkung der Aktivierungsbarriere und Beschleunigung einer Reaktion ohne chemisch verbraucht zu werden – gelten allgemein für Katalysatoren (siehe kat. Hydrierung). Seite 05-33 Elektrophile Addition – Hydratisierung Markovnikov-Hydratisierung Wichtig ist festzuhalten, dass die oben beschriebene Säure-katalysierte Hydratisierung (Alken + H2O / verd. H2SO4 ) entsprechend der Markovnikov-Regel immer über das jeweils stabilste Carbeniumion verläuft, und damit den höher substituierten Alkohol als Produkt liefert: Elektrophil H Nucleophil H2O H3C H3C H H3C H Alken Anti-Markovnikov-Hydratisierung tertiäres Carbeniumion Ist man an der Darstellung des konstitutions-isomeren Alkohols (Anti-Markovnikov-Produkt) interessiert, so muss man zu einem Trick greifen – der so genannten Hydroborierung, die nach oxidativer Aufarbeitung (H2O2 ) den weniger hoch substituierten Alkohol als Reaktionsprodukt liefert: Elektrophil BH3 Übertragung von H H3C H B H H3C H H3C H H H3C O O H Alken B 2H 6 2 B H H3C C H2 B H H tertiäres Carbeniumion + H 2O 2 oxidative Spaltung der C-B-Bindung BH 3 kann 3-mal reagieren primärer Alkohol Borsäure H 3BO 3 Seite 05-34 Elektrophile Addition – Hydratisierung Biochemische Hydratisierung Citrat - Isocitrat Isomerisierung im Citrat-Cyclus (Aconitase): OOC COO Citrat (achiral) Eliminierung Hydratisierung COO - H2O OOC COO + H2O + H 2O cis-Aconitat - H 2O OOC COO (2R,3S)-Isocitrat (chiral) Ein interessantes Wechselspiel zwischen Hydratisierung (Wasseraddition) und Eliminierung (Wasserabspaltung) hat die Natur im Citrat-Cyclus in Rahmen der Citrat – Isocitrat – Isomerisierung verwirklicht. Das Enzym Aconitase stellt lediglich das thermodynamische Gleichgewicht zwischen beiden Formen der Zitronensäure (Citrate = Salze der Zitronensäure) her, in dem es die reversible Eliminierung und Hydratisierung katalysiert, ohne dabei selbst modifiziert zu werden (an der Katalyse sind verschiedene Protonen-liefernde Aminosäuren, sowie ein Eisen-Sulfid Cluster (FeS) 4 beteiligt). Der detaillierte Mechanismus ist komplex – die Einzelreaktionen entsprechen aber exakt den bereits besprochenen Mechanismen der Eliminierung und Addition: Oder in Form der altmodischen Fischer-Projektionen - betrachten Sie es als eine zusätzliche Übung in Stereochemie die Formeln zu überprüfen: COO Eliminierung Hydratisierung - H2O H H COO + H2O + H2O H - H2O Hydratisierung COO Eliminierung HO H Seite 05-35 Elektrophile Addition – Halogenierung Elektrophile Halogenierung von Alkenen Cl 2 Alkene reagieren mit elementaren Halogenen Cl 2 und Br 2 – nicht aber F 2 (? zu reaktiv, Zersetzung) oder I 2 (? zu unreaktiv) unter Addition zu Dihalogenalkanen. Bei Alkinen findet die Reaktion analog in zwei Stufen Alkin ? Dihalogenalken ? Tetrahalogenalkan statt. CCl4 (inertes Lösungsmittel) Cl CCl4 Br CCl4 Br Br Alken Dihalogenalkan Alkin Tetrahalogenalkan Die Stereochemie dieser Reaktion ist allerdings überraschend: es handelt sich hier um eine trans-Addition (vergleiche mit der cis-Hydrierung, weiter oben): Bromierung ? trans-Addition Br 2 CCl 4 Br 2 Hydrierung ? cis-Addition Rational verstehen lässt sich der Befund der trans-Addition wieder, wenn man den Mechanismus genau betrachtet. Br 2 Seite 05-36 Elektrophile Addition – Halogenierung Mechanismus der Elektrophilen Halogenierung Br 2 trans-Addition d Br Br d Elektrophiler Angriff d Br p-Komplex Br d Bromoniumion Br 2 CCl 4 (inertes Lösungsmittel) Nucleophile Ringöffnung Br H Die elektrophile Halogenierung ist ein zweistufiger Prozess, der eingeleitet wird durch einen Angriff des Halogens senkrecht zur p-Bindung des Alkens (Angriff ist nicht möglich in der Ebene der p-Bindung, da sich die Elektronendichte der C=C-Doppelbindung nur ober- bzw. unterhalb der Ebene befindet!), und es kommt zu einer Polarisierung der Halogen-Halogen Bindung (Vorkomplexierung in einem so genannten p-Komplex). Anschließend wird unter Bruch der Halogen-Halogen-Bindung elektrophil eine cyclisches 3-Ring Halogeniumion (im gezeigten Beispiel ein Bromoniumion, im Fall von Chlorierungen ein analoges Chloroniumion) gebildet. Das verbleibende Halogenid (Bromid oder Chlorid) kann anschließend aus sterischen Gründen nur einen Rückseitenangriff auf ein C- Atom des Halogeniumions in einer S N 2-artigen Reaktion starten, der zur Ausbildung des trans-Additionsprodukts führt: Mesomere Schreibweisen * Animationen des Mechanismus: http://sugar.oc.chemie.tu-darmstadt.de/ak/immel/tutorials/reactions/index8.html#bromination Br H Seite 05-37 Elektrophile Addition – Halogenierung (E)-2-Buten H3C CH3 (Z)-2-Buten Bildung des Bromoniumions auf der "Oberseite" des Alkens Br 2 CCl 4 Bildung des Bromoniumions auf der "Unterseite" des Alkens Bildung des Bromoniumions auf der "Oberseite" des Alkens Br 2 CCl 4 Bildung des Bromoniumions auf der "Unterseite" des Alkens H3C H H3C H3C H3C H3C H Br H HBr CH 3 H3C Br HBr H meso-2,3-Dibrombutan (2R,3R)-2,3-Dibrombutan Br (2S,3S)-2,3-Dibrombutan Die exakte Stereochemie der trans-Addition wird – wie hier gezeigt – besonders am Beispiel cyclischer Ausgangsstoffe deutlich. Im Fall von offenkettigen Substraten ist ebenfalls die trans-Addition der einzige tatsächlich ablaufende Prozess, der dazu führt, dass ausgehend von cis- bzw. trans-Alkenen unterschiedliche Produkte gebildet werden:* Säge-Bock-Projektion Diastereomere * Betrachten Sie dieses Schema als eine kleine Übung und Wiederholung in Stereochemie. Was würde man erwarten wenn es sich um eine cis-Addition handeln würde? Enantiomere (als Racemat 1:1) achirale meso-Verbindung 3 Konfigurations-Isomere Seite 05-38 Elektrophile Addition – Hydrohalogenierung Br 2 Mesomere Schreibweisen der Zwischenstufe als Bomoniumion oder Carbeniumion: tertiäres (stabiler) Carbeniumion Die Addition von Halogenen an Alkene ist typisch für diese Stoffklasse, die Entfärbung von Bromwasser (bräunliche Lösung von Br 2 in Wasser ? Entfärbung durch Addition von Br 2 an die Doppelbindung) wird auch als qualitative Schnell-Nachweisreaktion für Alkene oder Alkine verwendet. Im allgemeinen wird Halogenierung mit Br 2 oder Cl 2 in inerten Lösungsmitteln durchgeführt. Sind allerdings im Verlauf der Reaktion in der Lösung noch weitere, konkurrierende Nucleophile vorhanden (z.B. Wasser), so kann die Ringöffnung auch durch eine andere Spezies erfolgen (Hydrohalogenierung ? Brom- oder Chlorhydrine). Zu beachten ist weiterhin, dass die nucleophile Ringöffnung des Bromoniumions mit unterschiedlicher Regioselektivität erfolgen kann. Entscheidend für die Bildung der Produkte ist die Stabilität der intermediär auftretenden Carbeniumionen, deren relative Energien letztendlich die beobachtbaren Produktverhältnisse widerspiegeln. Im gezeigten Beispiel ist das tertiäre Carbeniumion deutlich bevorzugt gegenüber dem sekundären, was zu der aufgeführten Produktselektivität führt. Die Bromaddition in Wasser entspricht der Addition von HOBr (Hypobromige Säure) an die C=C-Doppelbindung. Als Nebenprodukt entsteht das Dibromalkan als Folge der Konkurrenz von Wasser und Bromid als Nucleophil. Da Wasser im Überschuss vorliegt, ist das Bromhydrin das Hauptprodukt. Bromhydrin (Hauptprodukt) Dibromalkan (Nebenprodukt) sekundäres (weniger stabil) - H OH Br 2 + H 2O HOBr + HBr Hypobromige Säure Seite 05-39 Elektrophile Addition – Epoxidierung Synthese von Epoxiden Chlor- und Bromhydrine stellen einen möglichen Zugang zu Epoxiden (O-haltige 3-Ringe) dar, die wertvolle Synthese- Bausteine der Organischen Chemie sind. Der Ringschluss wird ermöglicht durch eine Basen-katalysierte intramolekulare SN2-Reaktionen unter Substitution des Halogens: Cl Cl Cl H Cl2 + NaOH = H H2O - H2O Cl H OH O Na Na O H O Epoxid Intramolekulare S N 2-Reaktion - NaCl (? Triebkraft der Reaktion) Einen alternativen Zugang zu Epoxiden bietet die direkte Oxidation von Alkenen mit Persäuren (hier findet vor allem käufliche MCPBA breite Anwendung): MCPBA O R H O R O H O O H O O Persäure Persäure H "normale" Säure MCPBA meta-chlor-perbenzoic acid Seite 05-40 Elektrophile Addition – Epoxidierung (E)-2-Buten MCPBA Epoxide Polarität der Ringbindungen: R R R R Elektrophil Nucleophil H3C + H ? nucleophiler Angriff an den Ring-Kohlenstoff-Atomen möglich ? elektrophiler Angriff am Sauerstoff-Atom möglich MCPBA Aufgrund der Bildung eines kleinen 3-Rings muss die Epoxidierung eine cis-Addition darstellen, die je nach der Konfiguration der Doppelbindungen im Ausgangsmaterial unterschiedliche Konfigurations-Isomere als Produkte liefert (vergleiche die weiter vorne beschriebene Halogenierung von (E/Z)-2-Buten): Enantiomere (als Racemat 1:1) achirale meso-Verbindung 3 Konfigurations-Isomere H3C H3C Diastereomere (Z)-2-Buten Die starke Polarisierung der C-O-Bindungen im Epoxid-Ring, in Verbindung mit der ausgeprägten Ringspannung (Baeyer-Winkelspannung) macht die Epoxide zu vielseitigen Reagenzien in der Organischen Synthese: Seite 05-41 Reaktionen der Epoxide Gute Nucleophile reagieren nach dem S N 2-Mechanismus mit Epoxiden unter Ringöffnung: Thiole und Thiolate Amine Die Carcinogenität von polycyclischen aromatischen Verbindungen beruht z.T. auf dem Mechanismus der unkontrollierten Ringöffnung von Epoxiden durch „biologische“ Nucleophile: Enzymatische Oxidation S N 2 S N 2 + HCl O Na R - NaCl S nucleophile Ringöffnung a-Benzpyren OH OH (Zigarettenrauch) Störung der DNA-Replikation ? carcinogen Seite 05-42 Reaktionen der Epoxide Schlechte Nucleophile wie z.B. Wasser können Basen- oder Säure-katalysiert mit Epoxiden reagieren: Basenkatalyse: schlechtes Nucleophil O Erhöhung der Nucleophilie H H H NaOH H H O H O H (Wasser) Na Säurekatalyse: gutes Elektrophil OR OR OR OR 1.) Sulfonierung Ringschluss Ringöffnung OH O O RO 2.) NaH (Base) O O RO zum Epoxid des Epoxids RO O HO O OH OR O O OR OR O OR HO S O H H a-D-Glucose-Derivat a-D-Altrose-Derivat S N 2 S N 2 Regeneration des Katalysators Und manchmal hilft nur ein bisschen „feine“ Gewalt:* Regeneration des Katalysators * Ein Beispiel aus der eigenen Forschung: S. Immel et al., Angew. Chem. 1997, 109, 1987-1991. + H O 2O Na H - NaOH O Basenkatalyse Säurekatalyse unkatalysiert ? Zersetzung ? Zersetzung ? 4 Tage, Rückfluss, 100°C in reinem Wasser ? 70% Seite 05-43 Stereoselektive Synthese von Diolen MCPBA KMnO 4 Alken Epoxidierung Säure-katalysierte Ringöffnung ? trans-Angriff des Nucleophils (H 2O) Alken Oxidation mit Kaliumpermanganat ? tief violett gefärbt Von der Anorganischen Seite betrachtet: [2+3]-Cycloaddition ? konzertierter (gleichzeitiger) Prozess ? cis-Addition von Permanganat Kaliumpermanganat KMnO 4 (violett) Kaliummanganat KMnO 3 MnO 2 Braunstein Zwischenprodukt ? hydrolysiert sehr schnell + H 2O + H 2O - KMnO 3 trans-1,2-Diol cis-1,2-Diol Kaliummanganat (KMnO 3) disproportioniert schnell zu Braunstein (MnO 2) und Permanganat (KMnO 4) ? Braunstein setzt sich als braunes Feststoff ab ? Entfärbung der KMnO 4-Lösung ? Qualitativer Nachweis von C=C-Doppelbindungen (Baeyer'sche Probe) ? Alken wird zum Diol (Alkohol) oxidiert ? Permanganat (Mn +7 ) wird zum Manganat (Mn +5 ) reduziert (? Disproportionierung Mn +5 ? Mn +7 und Mn +4 unter Bildung von Braunstein) * Moderne Varianten der Kaliumpermanganat-Oxidation (? cis-Dihydroxylierung) setzten katalytisch Osmiumtetroxid OsO 4 als Oxidationsmittel ein. Seite 05-44 Oxidative Spaltung von C=C-Doppelbindungen (Ozonolyse)* Alken Ozon ? sehr reaktiv ? Reaktion mit C=C Ozonolyse (Gesamtreaktion) H [2+3]-Cycloaddition ? konzertierter (gleichzeitiger) Prozess ? cis-Addition von Ozon Dialdehyd (siehe Carbonylverbindungen) ? offenkettig, da Spaltung der C=C-Doppelbindung reduktive Hydrolyse Zwischenprodukt Primär-Ozonid ? wird nicht isoliert (explosiv) ? schnelle Umlagerung Oxidative Spaltung von C=C-Doppelbindungen ? Ersatz von C=C ? C=O + O=C ? Ringöffnung bei cyclischen Alkenen ? Spaltung in 2 Moleküle bei offenkettigen Alkenen ? sehr komplizierter Mechanismus (siehe unten) Alken elektrische Glimmentladung Dialdehyd Erzeugung von Ozon O2 O3 ? niedriger Ozongehalt (wenige Prozent) ? sehr charakteristischer Geruch (durchgeschmorte Elektrokontakte) * Die Gesamtreaktion ist einfach (C=C ? 2x C=O), der detaillierte Mechanismus ist sehr komplex. Seite 05-45 Radikalische Polymerisation von Alkenen Monomer (Alken) Generierung eines Anfangs-Radikals Ketten- Wachstum Radikal-Starter R R Radikalische Addition an die C=C-Doppelbindung Kettenabbruch durch Rekombination von zwei Radikalen Fortsetzung der Reaktion durch das neue (verlängerte) Radikal ? Kunststoffe mit sehr variablen Eigenschaften je nach verwendetem Monomer: Beispiele: Monomer Polymer H H Ethen (= Ethylen) PE Polyethylen H H Propen Vinylchlorid (= Chlorethen) Polypropylen Polyvinylchlorid Styrol PS Polystyrol Kunststoffe, Plaste, etc. Polymer (Alkan) n kann leicht einige 1000 übersteigen ? Molmassen oft >1.000.000 g/mol Cl Cl Cl Cl * Die Polymerisation wird oft als radikalische Kettenreaktion durchgeführt – sie kann allerdings auch anionisch, kationisch oder koordinativ ausgeführt werden. Seite 05-46 Besonderheiten der Alkine – Hydratisierung Markovnikov-Hydratisierung Alkine zeigen in vieler Hinsicht ein ähnliches Reaktionsverhalten wie Alkene, so z.B. im Verlauf der schon diskutierten Hydrierung (? Alkane oder Alkene, je nach verwendetem Hydrierungskatalysator, siehe oben), Halogenierung (Addition von Br 2 oder Cl 2 ), oder der Hydrohalogenierung (Addition von HBr oder HCl). Prinzipiell gilt diese Ähnlichkeit auch für den Mechanismus der Hydratisierung (Addition von Wasser) oder Hydroborierung (Addition von Boran), jedoch sind die Produkte dieser Reaktionen völlig anderer Natur: die bei diesen beiden letztgenannten Reaktionen primär gebildeten Alken-Alkohole (besser: „Enole“) sind instabil, und lagern spontan um in Ketone bzw. Aldehyde (zu diesen neuen Stoffklassen siehe das Kapitel „Carbonylverbindungen“), diese sind unter den Reaktionsbedingungen stabil und stellen die isolierbaren Endprodukte dar:* Alkin Alken direkter Vergleich! Elektrophil H NICHT: Nucleophil H2O H O H H - H sekundäres Carbeniumion H primäres Carbeniumion sekundäres Carbeniumion * Umlagerungen dieses Typus, die ausschließliche eine Wanderung eines Protons (H + ) und von Elektronen beinhalten werden als Tautomerie bezeichnet – hier speziell „Keto-Enol-Tautomerie“. analoge Produkte Alkohol (Endprodukt) Keto-Enol- Tautomerie H3C C C H O H Anmerkung: die Reaktion der Alkine wird auch durch Hg 2+ Ionen (HgSO 4) katalysiert, daher oft die Angabe Alkin + H + /H 2SO 4/HgSO 4 als Reaktionsbedingungen! Seite 05-47 Besonderheiten der Alkine – Hydroborierung Anti-Markovnikov-Hydratisierung (Hydroborierung) Alkin Alken Elektrophil BH 3 BH 3 BH 3 Anti-Markovnikov-Produkt Oxidative C-B-Spaltung Anti-Markovnikov-Produkt + H 2O 2 - H 3BO 3 H3C C C B + H2O2 H3C H C C O H H H H - H3BO3 H H H H H H Keto-Enol- Tautomerie Wie erwähnt, folgt der Mechanismus der Hydroborierung von Alkinen ebenfalls dem der Alkene, jedoch liefert auch hier die Tautomerisierung des Zwischenprodukts völlig andere Endprodukte (Alkine ? Aldehyde): direkter Vergleich! C-H-Acidität Alkohol (Endprodukt) Eine bemerkenswerte Eigenschaft terminaler Alkine ist die C-H-Acidität der =C-H Bindung (im Gegensatz zu den C-H Bindungen in Alkanen oder Alkenen), so gelingt deren Deprotonierung mit starken Basen (z.B. NaNH 2 ):* Alkin starke Basen NaNH 2 - NH 3 Synthesebausteine ? Nucleophile Substitutionen ? Additionen an Carbonylverbindungen ? Metallorganische Chemie pK a-Werte Alkane C(sp3)-H ? 50 Alkene C(sp2)-H ? 44 Alkine C(sp)-H ? 25 * „C-H-Acidität“ heißt in diesem Zusammenhang nicht, dass Alkine „sauer“ reagieren, sie sind immer noch sehr schwache Säuren zu deren Deprotonierung starke Basen gebraucht werden. ca. 20 Zehner- Potenzen der Säurestärke !!! Seite 05-48 Besonderheiten der Alkine – Naturstoffe Natürliche Alkine Dehydromatricaria ester (Kamillenblüten) HO H Ichthyothereol (Pfeilgift ? Krampf-auslösend) Capillin (Chrysanthemen ? Aktivität gegen Hautpilze) Histrionicotoxin (Pfeilgiftfrösche der Gattung Dendrobates) Im Vergleich zu Doppelbindungen sind C=C-Dreifachbindungen in Naturstoffen relativ selten anzutreffen, allerdings sind einige dieser Naturstoffe pharmakologisch sehr interessant und biologisch hoch aktiv, die biochemischen Synthesewege dieser Stoffe liegen noch vielfach im Dunkeln:* * Die Zusammenstellung soll nur einen kleinen Einblick in die strukturelle Vielfalt von Naturstoffen vermitteln, ohne hier eine Wertung nach Bedeutung oder Verbreitung vorzunehmen.