Seite 06-1 Organische Chemie für Biologen - Vom Methan zu Biomolekülen 06 – Delokalisierte p-Systeme Empfehlung: Kapitel 14, Vollhardt/Schore, WILEY-VCH, 2005. Priv.-Doz. Dr. Stefan Immel Universität Leipzig, Wintersemester 2007/2008. Seite 06-2 p-Bindungs-Typen Doppelbindungen 1,4-Pentadien Liegen in einem Molekül zwei oder mehr Doppelbindungen (C=C- und ganz allgemein alle X=Y-Doppelbindungen, wie z.B. auch C=O, C=N, etc.) vor (im Unterschied zu bisher betrachteten, einzelnen Doppelbindungen), so unterscheidet man verschiedene Typen je nach Stellung der p-Bindungen zueinander. Isolierte Doppelbindungen Sind C=C-Doppelbindungen durch mindestens ein sp 3 -hybridisiertes Atom voneinander getrennt, so spricht man von „isolierten“ („nicht-konjugierten“) Doppelbindungen. Die Reaktivität solcher Systeme entspricht weitgehend der einzelner, voneinander isolierter p- Systeme, die sich kaum oder nur unmerklich gegenseitig beeinflussen. Jede der Doppelbindungen reagiert unabhängig von anderen, ebenfalls vorhandenen p-Bindungen. Konjugierte Doppelbindungen Doppelbindungen (p-Bindungen), die durch exakt eine Einfachbindung (s-Bindung) voneinander getrennt sind, werden als „konjugierte“ Doppelbindungen bezeichnet. Orbitalmodelle (siehe nachfolgende Seiten) zeigen, dass diese Doppelbindungen nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können, sondern dass sich diese stark gegenseitig durch Mesomerie-Effekte beeinflussen. Kumulierte Doppelbindungen Zwei Doppelbindungen, die ein gemeinsames Kohlenstoffatom besitzen werden als „kumulierte“ Doppelbindungen („gehäuft“, oder „auf einem Haufen“) beschrieben. Aus den Orbitalmodellen ergibt sich, dass die beteiligten p-Bindungen nicht über Mesomerie miteinander in Wechselwirkung stehen, dennoch ergibt sich ein z.T. drastisch verändertes Reaktionsverhalten im Vergleich zu isolierten oder konjugierten p-Systemen. sp3-Zentrum sp2-Zentren eine s-Bindung 1,3-Butadien ein gemeinsames C-Atom 1,2-Propadien Seite 06-3 Orbitalmodelle – Übersicht Einzelne DB (zum Vergleich) Beispiele ? "normales" Alken ? keine Drehbarkeit der C=C-DB ? cis/trans-Isomerie Alken = H, Alkyl = Wechselwirkung = Doppelbindung EB = Einzelbindung p = p-Orbital-Überlappung ? p-Bindungen Isolierte DB ? sp 3-Zentrum unterbricht die p-p-WW zwischen den DB ? keine Mesomerie-Effekte ? Verhalten wie einzelne DB ? freie Drehbarkeit um C-C-EB sp3-Zentrum sp2-Zentren 1,4-Pentadien sp 3-Zentrum sp 2-Zentren Anmerkung zu kumulierten DB: R1 R2 p p R 3 Konjugierte DB ? stabilisierende p-p-WW zwischen den DB ? starke Mesomerie-Effekte ? Verhalten nicht unabhängig ? eingeschränkte Drehbarkeit um die zentrale C-C-EB ? bevorzugt planare Geometrie sp 2 eine s-Bindung 1,3-Butadien eine s-Bindung sp 2 entlang dieser Ebene ergibt sich eine abstoßende WW (ungleiches Vorzeichen der Elektronen-Wellenfunktion) Blickrichtung sp 2 Kumulierte DB ? abstoßende p-p-WW zwischen senkrechten DB ? keine Mesomerie-Effekte ? erhöhte Reaktivität ? keine Drehbarkeit, durch sp- Zenrum müssen die vier Substituenten am Ende senkrecht zueinander stehen! sp 2 gemeinsames sp-C-Atom sp-Zentrum hintere DB vordere DB entlang dieser Ebene ergibt sich eine R2 R4 anziehende WW (gleiches Vorzeichen der Elektronen-Wellenfunktion) In der Summe heben sich diese WW auf, es kommt aber noch die repulsiv R4 R1 R1, R2 ? hintere Substituenten R3, R4 ? vordere Substituenten wirkende Elektron-Elektron-Abstoßung hinzu, so dass ein energiereiches, reaktives p-System resultiert! sp 2 Seite 06-4 Orbitalmodelle – Isolierte p-Systeme Einzelne und isolierte Doppel- und Dreifachbindungen Die Orbitalmodelle, Eigenschaften und Reaktivitäten isolierter Doppel- und Dreifachbindungen wurden eingehend in Kapitel 5 betrachtet. Ganz allgemein gilt, dass sich die Reaktivitäten mehrerer Doppel- oder Dreifachbindungen innerhalb eines Moleküls nicht drastisch von den dort beschriebenen unterscheiden, sofern die einzelnen p-Systeme* durch mindestens ein sp 3 -hybridisiertes Atom von einander getrennt sind: Einzelne Doppelbindungen ? "normales" Alken ? keine Drehbarkeit der C-C-DB ? cis/trans-Isomerie Isolierte Doppelbindungen keine Rotation um C-C-DB Rotation um C-C-EB ? sp 3-Zentrum unterbricht die p-p-WW zwischen den DB ? freie Drehbarkeit um C-C-EB (nicht um C-C-DB!) ? Eigenschaften und Reaktivität wie "normale" Alkene trans-Alkene DB in der "Aufsicht" schnelle Rotation sp 3-Zentrum 1,4-Pentadien-System keine Rotation um C-C-DB Rotation um C-C-EB cis-Alkene * Die Bezeichnung p-System bezieht sich hier sowohl auf Doppel- wie auch auf Dreifachbindungen. http://sugar.oc.chemie.tu-darmstadt.de/ak/immel/tutorials/orbitals/molecular/ethene.html Seite 06-5 Orbitalmodelle – Kumulierte p-Systeme Kumulierte Doppelbindungen Kumulierte Doppelbindungen sp 2 sp-Zentrum sp 2 ? abstoßende p-p-WW zwischen senkrechten DB ? keine Mesomerie-Effekte; erhöhte Reaktivität ? keine Drehbarkeit sp2 sp sp2 1. p-Bindung Einfachstes Beispiel (CO2): O C O Es sind auch Cumulene (=Allene) mit mehr als zwei p-Bindungen bekannt (in den Kurzschreibweisen werden die "internen" C-Atome durch Punkte ersetzt): Die Abfolge von p-Bindungen erzwingt Hybridisierung: ? sp2-Hybridisierung der beiden "terminalen" C-Atome 1,2-Propadien (Allen) H H 1,2,3-Butatrien C C H C H ? sp-Hybridisierung aller "internen" C-Atome H H C C C C H Konfigurations-Isomerie (bei jeweils 2 unterschiedlichen terminalen Substituenten): H Gerade Anzahl von C=C-DB ? Axiale Chiralität: H3C H3C CH3 H3C H Enantiomere: C C C C C C E/Z-Isomerie: C C C C H H H CH3 H H „Gehäufte“ oder kumulierte Doppelbindungen (Stoffklasse der Cumulene oder auch Allene) weisen eine besondere Reaktivität auf, hier soll nur ihr Orbitalmodel und ihre unterschiedlichen Konfigurations-Isomerien erwähnt werden: Neben-Orbitallappen 2. p-Bindung Knotenebenen Ungerade Anzahl von C=C-DB ? cis/trans-Isomerie: "Exakte" MO Orbitalmodelle ? 2 zueinander senkrechte DB gleicher (entarteter) Energie 1,2-Propadien (Allen) * Kumulierte Dreifachbindungen sind aufgrund der Vier-Bindigkeit von Kohlenstoff nicht möglich. http://sugar.oc.chemie.tu-darmstadt.de/ak/immel/tutorials/orbitals/molecular/allene.html Seite 06-6 Orbitalmodelle – Konjugierte p-Systeme Konjugierte Doppelbindungen Der bei weitem wichtigste Fall tritt ein, wenn p-Bindungen nur über eine s-Bindung voneinander getrennt sind, und damit in eine direkte, stabilisierende Wechselwirkung treten. Konjugierte Doppelbindungen eine s-Bindung ? stabilisierende p-p-WW zwischen den DB, starke Mesomerie ? Verhalten der Doppelbindungen nicht unabhängig ? eingeschränkte Drehbarkeit um die zentrale C-C-EB ? partieller Doppelbindungs-Charakter der zentralen Bindung ? bevorzugt planare Geometrie Mesomerie Konformation sp 2 eine s-Bindung sp 2 s-trans sterische WW p-p-WW partieller Doppelbindungs-Charakter s-cis s-trans s-cis p p Orbitalmodelle von 1,3-Butatrien ? s-cis (s = single) ~ 12 kJ/mol energiereicher als s-trans ? bevorzugt planare Geometrie, eingeschränkte, aber bei 20°C immer noch schnelle Rotation (aber langsamer als C-C-EB) ? kürzere zentrale C-C-Bindung 147pm (C-C: 154pm; C=C: 134pm) Seite Energie 06-7 Linear-Kombination von Atomorbitalen (LCAO) Eine Doppelbindung: Zwei Doppelbindungen: Steigende p-p-Konjugation ? Fallende Energiedifferenz HOMO-LUMO LUMO HOMO Drei Doppelbindungen: AO = Atomorbitale; MO = Molekülorbitale; in orange: Anzahl der Knotenebenen HOMO = Highest Occupied MO; LUMO = Lowest Unoccupied MO LUMO HOMO 2 AO ? 2 MO 4 AO ? 4 MO 6 AO ? 6 MO ? 2 p-Orbitale (AOs) ? 4 p-Orbitale (AOs) ? 6 p-Orbitale (AOs) ? 2 p-Elektronen (1 je AO) Ethen ? 4 p-Elektronen (1 je AO) 1,3-Butadien ? 6 p-Elektronen (1 je AO) 1,3,5-Hexatrien LUMO HOMO besetzte Molekülorbitale unbesetzte Molekülorbitale Seite 06-8 Licht-Absorption* und Farbigkeit konjugierter p-Systeme Wellenlänge ? [nm] Absorbierte Farbe Ethen Ultraviolet (UV) Sichtbarer Bereich (VIS = "visible") Infrarot (IR) Wahrgenommene Farbe (farblos) = Komplementär-Farbe der Absorption ? max = 171 nm 1,3-Butadien ? max = 217 nm (UV-Absorption) 1,3,5-Hexatrien ? max = 268 nm Absorption im UV ? farblose Substanzen c Lichtgeschwindigkeit h Planck'sches Wirkungsquantum ? Frequenz [s -1 ] ? Wellenlänge [m] ?E = h ? = h c /? 400 500 600 800 Steigende p-p-Konjugation ? Fallende Energiedifferenz HOMO-LUMO ? Fallende Energie der Absorption ? Steigende Wellenlänge der Absorption ? max = 497 nm (? orange Farbe) Licht-Absorption ? Elektronenanregung (HOMO ? LUMO) ? Energiedifferenz HOMO-LUMO entspricht der Frequenz (?) und Wellenlänge (?) des absorbierten Lichtes ? je niedriger ?E, desto größer wird ? (bathochromer Effekt) Energie LUMO Absorption HOMO ?E = h ? * Der Begriff „Absorption“ bezeichnet einen Prozess der „Aufnahme“, und ist nicht zu verwechseln mit der „Adsorption“ (Prozess der „Anlagerung“, siehe katalytische Hydrierung von Alkenen). Seite 06-9 Poly-konjugierte p-Systeme Polyene und elektrisch-leitfähige Polymere Poly-konjugierte Systeme (Polyene, lies: „Poly-ene“, Poly-Alkene), weisen interessante Materialeigenschaften auf, und insbesondere lassen sich organische Polymere mit sehr hoher Leitfähigkeit für elektrische Schaltungen und Displays konstruieren („druckbare“ Schaltungen der Zukunft – „elektronische Platinen mit einem Tintenstrahldrucker selbst ausdrucken“): Poly-konjugierte Doppelbindungen (Polyene) Polyene (fortlaufende Konjugation) ? Elektrisch-leitfähige Polymere all-trans-Polyacetylen (Luft- und Feuchtigkeits-empfindlich) Moderne elektrisch-leitfähige Polymere (? "organic light emitting devices", Handy-Displays, Monitore der nächsten Generation) Poly(p-phenylen-vinylen) Polythiophen Seite 06-10 Cyclisch konjugierte p-Systeme Konjugierte Dreifachbindungen Cyclisch konjugierte Doppelbindungen Für konjugierte Dreifachbindungen gilt in der Analogie das oben zu den konjugierten Doppelbindungs-Systemen gesagte – konjugierte C=C-Bindungen sind allerdings relativ selten und sollen daher hier nicht eingehend behandelt werden. Ein paar Beispiele für zwei- und dreifach konjugierte C=C-Bindungen wurden als Beispiele für Naturstoffe aus der Klasse der Alkine in Kapitel 5 aufgelistet. Konjugierte Dreifachbindungen Für cyclisch konjugierte Doppelbindungen gelten – in Abhängigkeit der Anzahl von Doppelbindungen und p-Elektronen – völlig andere Regeln und drastisch andere Reaktivitätsmuster. Diese werden im Kapitel 7 ? Aromaten beschrieben. Cyclisch konjugierte Doppelbindungen anti-aromatisch aromatisch nicht-aromatisch (olefinisch) Seite 06-11 Reaktionen konjugierter Doppelbindungen Stabilität und Reaktivität Im Allgemeinen sind konjugierte Doppelbindungen aufgrund der vorne gezeigten Mesomerie-Stabilisierung zwischen den p-Bindungen stabiler (energieärmer) als isolierte C=C-Doppelbindungen. Gleichzeitig aber – und das klingt auf den ersten Blick sehr überraschend – sind die konjugierten Systeme aber auch reaktiver als isolierte C=C- Doppelbindungen. Aus den vorne beschrieben MO-Schemata für Ethen und Butadien hat sich aber gezeigt, dass die HOMO-Energie des Butadiens höher ist als die des HOMOs von Ethylen. 1,3-Butadien ist damit das „Elektronenreichere“ Alken, das gegenüber Elektrophilen* reaktiver ist.** Ein weiteres, leichter einsichtiges Argument ist, dass sich bei der Elektrophilen Addition an C=C-Doppelbindungen – die die dominierende Reaktion von Alkenen ist (Kapitel 5) – als primäre Intermediate Carbeniumionen bilden, die im Fall der konjugierten Doppelbindungen jetzt ihrerseits durch Mesomerie-Stabilisierung energieärmer sind: Alkene (erhöhte Temperatur) nicht Mesomeriestabiliserte Carbeniumionen Diene niedrigere Reaktivität der isolierten DB wird nicht gebildet (25°C) * Elektrophile „suchen“ Elektronen (negative Lad.), Nucleophile „suchen“ Kerne (positive Lad.). ** Analoges gilt für die LUMO-Energien und die Reaktivität gegenüber Nucleophilen. 1,2-Addition 1,4-Addition Mesomeriestabilisertes Carbeniumion (Allyl-Kation) höhere Reaktivität der konjugierten DB Seite 06-12 Reaktionen konjugierter Doppelbindungen Mesomerie-stabilisierte Carbeniumionen* Mesomerie-stabilisiertes Carbeniumion: Kurzschreibweisen: Allgemeine Bemerkungen zu mesomeren Formeln: ? alle Formeln beschreiben (mehr oder weniger genau) exakt dieselbe Spezies! ? Der Begriff "Resonanzformeln" ist missverständlich, die elektronische Struktur "schwingt" nicht zwischen den Grenzstrukturen "hin und her", sondern liegt irgendwo "dazwischen". ? die mesomeren Strukturen sind nicht unterscheidbar, sie sind nur Abbildungen, die die "Realität" mehr oder weniger gut beschreiben. Diese Pfeile sind hier FALSCH: ? Die "wahren" Eigenschaften ergeben sich als "gewichteter Mittelwert" aller Grenzstrukturen; siehe Regeln siehe Kapitel 1, in diesem Beispiel ist die Ladung über die Positionen 2 (sekundär, "relevanter") und 4 (primär, "weniger relevant") delokalisiert. ? Demnach ist die resultierende Partialladung in Position 2 größer als in Position 4! * Wir werden dieser Schreibweise bald noch öfters begegnen! = Allyl-Kation oder: 4 4 2 3 1 Wichtigstes Merkmal der Additionsreaktionen an konjugierte p-Bindungen ist das Auftreten von Mesomerie-stabilisierten Carbeniumionen des folgenden Typs (siehe auch weiter unten – Allyl-Kation, Allyl-Anion und Allyl-Radikal): Erläuterung:* ? Der gestrichelte Kreisbogen verbindet die drei sp 2-Zentren. ? Pro sp 2-Atom ist ein Elektron vorhanden, minus eines für die positive Ladung. ? 2 Elektronen delokalisiert zwischen 3 Atomen, die Ladung sitzt an jedem zweiten Atom (hier Position 2 + 4), nicht aber in der Mitte wie die Formel auf den ersten Blick suggeriert. Bisher haben wir festgestellt, dass die Stabilität von Carbeniumionen in der Reihenfolge Methyl < primär < sekundär < tertiär zunimmt (siehe Kapitel 5 – +I-Effekt der Alkyl-Substituenten am Carbeniumion). Allgemein gilt, dass eine mögliche Mesomerie (M-Effekt) fast ausnahmslos stärker zu einer Stabilisierung einer Spezies beiträgt, als der induktive I-Effekt. Konjugierte Carbeniumionen sind immer stabiler als nicht-konjugierte (Faustregel: wenn sich eine Mesomerie-stabilisierte Form bilden kann, wird sich diese auch bevorzugt vor nicht-stabilisierten bilden!). * Verdeutlichen Sie sich die Positionen (C-Atome), an denen die Ladung lokalisiert sein kann! Das Konzept der Mesomerie ist von entscheidender Bedeutung für alles was noch kommt! Seite Energie 06-13 Reaktionen konjugierter Doppelbindungen Selektivität – Thermodynamische und kinetische Kontrolle Geschwindigkeits-bestimmender Übergangszustand (? Carbeniumion) + HCl Zwischenstufe Edukte Produkte Reaktionskoordinate 1,2-Addition 1,4-Addition Das Energie-Diagramm der HCl Addition an Butadien zeigt, dass unter verschiedenen Bedingungen unterschiedliche Reaktionsprodukte erhalten werden: Kinetische Reaktions-Kontrolle ? Energie-reicherer Überganszustand = langsamere Reaktion (kleinere Partialladung in Position 4). ? führt zum thermodynamisch stabileren Produkt (höher substituiertes Saytzev-Alken). ? Energie-ärmerer Überganszustand = schnellere Reaktion (größere Partialladung in Position 2). ? führt zum thermodynamisch weniger stabilen Produkt (niedriger substituiertes Hofmann-Alken). Kinetischkontrolliertes Hauptprodukt ? Unter Nicht-Gleichgewichtsbedingungen (niedrige Reaktionstemperatur und kurze Reaktionszeit), sowie bei irreversiblen Reaktionen bildet sich eine Geschwindigkeits-kontrollierte Produkt-Mischung (die relativen Energien der Übergangszustände sind bestimmend), die 1,2-Addition ist Hauptprodukt. Thermodynamische Reaktions-Kontrolle ? Unter Gleichgewichtsbedingungen (hohe Reaktionstemperatur und lange Reaktionszeit) bildet sich bei reversiblen (Gleichgewichts-) Reaktionen eine Energie-kontrollierte Produkt-Mischung (die relativen Energien der Produkte sind bestimmend), die 1,4-Addition unter Wanderung einer C=C-Doppelbindung ist Hauptprodukt. * Thermodynamik betrachtet alle Fragen der Energie (Stabilität) von Zwischenstufen und Produkten, die Kinetik die Geschwindigkeiten ihrer Bildung (beides muss nicht parallel gehen!). Seite 06-14 Reaktionen konjugierter Doppelbindungen Halogenierung CCl 4 H Kinetischkontrolliertes Hauptprodukt Die Halogenierung von Dienen läuft nach dem gleichen Mechanismus wie die Halogenierung von einfachen Alkenen (siehe Kapitel 5) – wobei hier auch wieder zwischen der 1,2-Addition (Kinetische Reaktionskontrolle) und 1,4-Addition (Thermodynamische Reaktionskontrolle) unterschieden werden muss. Vor allem bei cyclischen Systemen muss zusätzlich die Stereochemie (trans-Addition) berücksichtigt werden: 1,2-Addition 1,4-Addition Br d Br Br p-Komplex Br d Bromoniumion 1 Br Br 2 Br2 1 1 H H 2 Thermodynamischkontrolliertes Hauptprodukt Prinzipiell gelten diese Überlegungen für alle konjugierten p-Systeme, und zwar sowohl für Reaktionszwischenstufen wie auch für Reaktionsprodukte. Die Mechanismen der chemischen Reaktionen von Dienen und Polyenen folgen in den beschriebenen Tendenzen denen der Alkene, es kommen „lediglich“ ein „paar“ neue Reaktionen hinzu – die so genannten elektrocyclischen Reaktionen – die allerdings hier nur am Rande angeschnitten werden sollen, weil sie z.T. völlig anderen Regeln folgen wie die bisher betrachteten Reaktivitäten und Selektivitäten. Zunächst aber noch ein kurzer Blick auf ein paar Konsequenzen der Mesomerie-Stabilisierung am Beispiel des Allyl- Systems. Seite 06-15 Allylische p-Systeme Allyl-Kation, Allyl-Radikal und Allyl-Anion Das fundamental wichtige Prinzip der Mesomerie-Stabilisierung der Organischen Chemie wird besonders deutlich an den einfachsten Systemen dieses Typs, den drei Allyl-Spezies (alle C 3 H 5 ), jeweils als Kation (2 p-Elektronen), als Radikal (3 p-Elektronen) oder als Anion (4 p- Elektronen): AO MO Knoten 3 x 1 3 AO ? 3 MO ? 3 p-Orbitale (AOs) Mesomerie Formel-Schreibweise: LUMO 0 HOMO HOMO = highest occupied molecular orbital LUMO = lowest unoccupied molecular orbital SOMO = semi-occupied molecular orbital SOMO LUMO HOMO * Siehe auch die Orbitaldarstellungen unter: http://sugar.oc.chemie.tu-darmstadt.de/ak/immel/tutorials/orbitals/molecular/allyl.html Seite 06-16 Allylische p-Systeme Reaktivität Die mesomeren Grenzformeln und die Orbitalmodelle des Allyl-Systems zeigen, dass sowohl das Kation, wie auch das Radikal und das Anion immer über die terminalen Positionen reagieren, niemals aber über das mittlere C-Atom: ? Im Allyl-Kation wird die Position der positiven Ladung durch die Orbitallappen des LUMOs bestimmt: das niedrigste unbesetzte Orbital entspricht dem „Elektronenloch“, dem fehlenden Elektron), das den Angriff von Nucleophilen dirigiert (siehe Orbital-Modelle auf der vorherigen Seite!). ? Im Allyl-Radikal ist das ungepaarte Elektron ausschließlich an den terminalen C-Atomen zu finden, das mittlere C- Atom liegt auf der Knotenebene des SOMO (Die Knotenebene des Orbitals entspricht einer Elektronendichte – oder hier auch der Spindichte – von s = 0). ? Im Allyl-Anion ist das HOMO Reaktions-bestimmend. Da das Überschuss-Elektron und damit auch die negative Ladung in diesem Orbital lokalisiert ist, tritt Reaktion mit Elektrophilen ausschließlich über die terminalen Positionen ein. Die oben beschriebenen Reaktionen der elektrophilen Addition an Diene folgen diesen Gesetzmäßigkeiten für Allyl- Kationen (Hydrohalogenierung und Halogenierung ? Carbeniumionen-Intermediate). Es zeigt sich weiterhin, dass Allylhalogenide leicht hydrolysieren (SN1), bzw. mit guten Nucleophilen (z.B. Iodid) auch SN2 oder SN2´ Reaktionen eingehen. Oft begünstigt die Mesomerie-Stabilisierung den SN1 Mechanismus:* S N 1 + H 2O Cl - Cl - H OH Allylchlorid Allylalkohol S N 1 Cl * + H2O - HCl HO + OH (S) (racemisch) Erklären Sie die Bildung der Produkte und die Stereochemie! * Der S N 1-Mechanismus kann aufgrund der Produkte nicht von S N 2 und S N 2´ unterschieden werden, aber eine genaue Analyse der Reaktionskinetik vermag Unterschiede festzustellen. S N 2' S N 2 S N 2' S N 2 S N 1 - Cl S N 1 Seite 06-17 Allyl und Benzyl contra Vinyl und Phenyl* p-Orbital = = = "orthogonale" Orbitale ? keine Mesomerie sp 2-Orbital 2 p-Orbitale "parallele" Orbitale ? stabilisierende WW Reaktivität Kation Radikal Anion Bindungstyp X = Cl, Br, I; z.B.: X = H pK S-Werte ? stark Mesomerie-stabilisierte Kationen, Radikale und Anionen Allylchlorid Benzylchlorid ? Nucleophile Substitutionen möglich und häufig, oft bevorzugt S N 1, aber auch S N 2 Propen ~ 40 Toluol ~ 40 ? Radikalische Substitution der H-Atome möglich ? niedrigere pK s-Werte (stärkere Säure) * Benzyl- und Phenyl- (Benzol) Derivate werden ausführlich in Kapitel 7 (? Aromaten) behandelt. Anmerkung: 1 pK s Einheit entspricht einer Größenordnung (Faktor 10) der Säurestärke! sp 2 ? keine Mesomerie-Stabilisierung von Kationen, Radikalen oder Anionen X X Chlorbenzol Vinylchlorid (Phenylchlorid) sp 2 ? keine nucleophilen Substitutionen an den sp 2-hybridisierten Zentren Ethen ~ 44 Benzol ~ 43 ? keine radikalische Substitution der H-Atome ? höhere pK s-Werte (schwächere Säure) Seite 06-18 Allyl und Benzyl contra Vinyl und Phenyl* Struktur und Eigenschaften Die vorangegangene Zusammenstellung zeigt, dass Allyl- und Benzyl-Systeme relativ ähnliche Eigenschaften und Reaktivitäten aufweisen, während sich diese grundlegend von Vinyl und Phenyl-Systemen unterscheiden. Die Orbitalmodelle der einzelnen Verbindungsklassen und Bindungstypen geben aber auch eine einfache Erklärung für die teilweise sehr drastischen Unterschiede! Säure Konjugierte Basen Name der "Säure" pK S-Wert Propan ~ 50 Propen ~ 40 Toluol ~ 40 Ethen ~ 44 Benzol (Anmerkungen: Auf einer absoluten Skala handelt es sich bei allen oben aufgelisteten Verbindungen um extrem schwache Säuren und gleichzeitig extrem starke Basen – aber dennoch lassen sich selbst zwischen diesen noch merkliche Unterschiede der „Säurestärke“ oder der Basizität feststellen und erklären. Achtung: 1 pK s Einheit entspricht einer Größenordnung (Faktor 10) der Säurestärke, und je höher der pK s -Wert ist, desto schwächer ist die dazugehörende Säure!) ~ 43 Seite 06-19 Pericyclische Reaktionen* Cycloadditionen O. P. H. Diels (1876-1954) Nobelpreis Chemie 1950. K. Alder (1902-1958) Nobelpreis Chemie 1950. Eine sehr umfangreiche Gruppe von Reaktionen konjugierter p-Systeme stellen die so genannten Cycloadditionen dar, die hier nur am Rande betrachtet werden sollen. Allgemein werden Additionsreaktionen an Olefine, die zu cyclischen Reaktionsprodukten führen, als Cycloadditionen bezeichnet, die entsprechenden Rückreaktionen als Cycloreversionen. Diese Reaktionen verlaufen einstufig über einen einzigen Übergangszustand, und können zu teilweise sehr komplexen Umlagerungen und Ringschlussreaktionen führen, die den Aufbau komplizierter Kohlenstoffgerüste in sehr eleganter Art und Weise ermöglichen. Diese Kategorie der Reaktionen folgt nicht unbedingt den klassischen Regeln der Elektrophilie und Nucleophilie für Ladungs-kontrollierte Reaktionen, sondern folgt Orbital-kontrollierten Mechanismen. Die Stereoselektivität der pericyclischen Reaktionen lässt sich mit Hilfe des Grenzorbitalkonzeptes und den Woodward-Hoffmann-Regeln (Erhaltung der Orbitalsymmetrie) erklären und vorhersagen. Anwendung finden diese Regeln auch bei der Klärung der Frage, ob die betreffenden Reaktionen unter thermischen oder unter photochemischen Bedingungen stattfinden (thermisch oder photochemisch erlaubte Reaktionen). Das bekannteste Beispiel einer Cycloaddition stellt die Diels-Alder-Reaktion dar. R. B. Woodward (1917-1979) Nobelpreis Chemie 1965. R. Hoffmann (1937-) Nobelpreis Chemie 1981. K. Fukui (1918-1998) Nobelpreis Chemie 1981. * Pericyclische Reaktionen verlaufen einstufig (konzertiert) und über cyclisch konjugierte Übergangszustände (Cycloadditionen, elektrocyclische Reaktionen, sigmatrope Umlagerungen, etc.). Seite 06-20 Pericyclische Reaktionen* Diels-Alder-Reaktion Dien (4p-Elektronen) + Dienophil (2p-Elektronen) Cycloaddition 200°C p 6p p Cycloreversion 400°C 1,3-Butadien Ethen (keine Zwischenstufe!) Cyclohexen Übergangszustand (6p-Elektronen) [4p+2p] Diels-Alder- Produkt Dien * Eine ganze Reihe von Animationen pericyclischer Reaktionen findet sich unter: http://sugar.oc.chemie.tu-darmstadt.de/ak/immel/graphics/molarch/movies/ Die Diels-Alder-Reaktion beschreibt die Addition eines Alkens oder Alkins (Dienophil) an ein konjugiertes Dien unter gleichzeitiger (konzertierter) Verschiebung von drei p-Elektronenpaaren und Ausbildung eines Cyclohexen-Derivats (Ausbildung von zwei neuen s-Bindungen). Die Diels-Alder-Reaktion ist reversibel und verläuft bei erhöhter Temperatur in die umgekehrte Richtung (Retro-Diels-Alder-Reaktion). Dienophil Orbitalmodel des Übergangszustandes Diels-Alder-Reaktion laufen besonders gut ab zwischen Elektronen-reichen Dienen und Elektronen-armen Dienophilen (Diels-Alder-Reaktion mit „normalem“ Elektronenbedarf), oder umgekehrt (Diels-Alder-Reaktion mit „inversem“ Elektronenbedarf). H3C d H3CO d -I-Effekt d CF3 -M-Effekt d C N d -M-Effekt O H d -M-Effekt O d d NH -M-Effekt COOEt +I-Effekt H3C d +I-Effekt H3CO d +M-Effekt d d d O d COOEt Elektronenreiche Diene Elektronenarme Dienophile Seite 06-21 Diels-Alder-Reaktion Beispiele Dien (4p-Elektronen) + Dienophil (2p-Elektronen) p NH p Diels-Alder- Produkt COOEt COOEt Die Diels-Alder-Reaktion ist sehr variabel und toleriert ein breites Spektrum an Dienen und Dienophilen, wobei sowohl offenkettige wie auch cyclische Substrate, wie auch Dreifachbindungen und Doppelbindungen mit Heteroatomen umgesetzt werden können: O O H3C p CN p H3C p s CN H3C p p H H3C p s H COOEt COOEt Zu beachten ist, dass – je nach Struktur der Edukte – unterschiedliche Regio- und vor allem Stereoisomere entstehen können: ‡ CN H CN CN Enantiomere Seite 06-22 Diels-Alder-Reaktion exo-Produkte (thermodynamische Reaktionskontrolle) ‡ CN NC CN (exo) NC H H Enantiomere Diastereomere Während hier Enantiomere immer im Verhältnis 1:1 als Racemat gebildet werden, können Diastereomere in unterschiedlichen Produktanteilen entstehen. Häufig ist das so genannte endo-Produkt das kinetisch-kontrollierte Hauptprodukt, während das exo-Produkt unter thermodynamisch-kontrollierten Bedingungen (Gleichgewichts- Bedingungen, zum Unterschied von kinetischer und thermodynamischer Reaktionskontrolle siehe dieses Kapitel, weiter vorne) bevorzugt entsteht: NC NC H ‡ H H (endo) H CN ‡ CN H H CN NC Enantiomere H H exo = nach "außen" gerichtet: endo-Produkte (kinetische Reaktionskontrolle) endo = nach "innen" gerichtet: Seite 06-23 Diels-Alder-Reaktion Cyclopentadien kann in Diels-Alder-Reaktionen mit seinen zwei Doppelbindungen als Dien fungieren, es kann aber auch mit nur einer dieser Doppelbindungen als Dienophil (einfaches Alken) reagieren. Interessant ist, dass Cyclopentadien daher „mit sich selbst“ reagieren (dimerisieren) kann. Bei Raumtemperatur läuft diese Reaktion relativ langsam ab, aber längeres Stehen lassen führt dazu, dass flüssiges Cyclopentadien überwiegend aus der dimeren Form besteht. Da diese Dimerisierung – wie alle Diels-Alder-Reaktionen reversibel ist, kann durch einfaches Erhitzen (einfache Destillation) die monomere Form „regeneriert“ werden (daher muss Cyclopentadien, bevor es in chemischen Synthesen verwendet werden kann, immer frisch destilliert werden): Cyclopentadien = 2 x (Monomer) Raumtemperatur Erhitzen (Destillation) Auch die Selbst-Dimerisierung von Acrolein stellt eine Diels-Alder-Reaktion – diesmal unter Beteiligung einer Kohlenstoff-Sauerstoff Doppelbindung – dar: O d O d d H O O H O d O O H H nicht: H H H d d d Acrolein = 2 x Acrolein O d Das besondere dieser Reaktion ist, dass die Reaktion nicht wie klassisch vermutet zwischen elektrophilen und nucleophilen Atomzentren abläuft, sondern unter Bindungsbildung zwischen zwei elektrophilen Positionen. Alle Fragen der Regio- und Stereoselektivität bei diesen Orbital-kontrollierten (nicht Ladungs-kontrollierten) elektrocyclischen Reaktionen werden von der Grenzorbital-Theorie erklärt und vorhergesagt, deren Behandlung allerdings hier zu weit führen würde. Dimere Seite 06-24 Naturstoffe Terpene OPP - H OPP + H OPP 1,2- oder 1,4- H H H H Eliminierung Isopentenylpyrophosphat (tert. Carbeniumion) Dimethylallylpyrophosphat Isopren -OPP = O O P (eine gute Abgangsgruppe) Isopren Dimerisierung Biomimetisch (nicht exakt wie die Natur, aber ähnlich): (erhitzen) Isopren-Bausteine in Terpenen: (±)-Limonen (Monoterpen) (formal) ß-Carotin (Tetraterpen) Terpene sind in der Natur weit verbreitet, vor allem in Pflanzen als Bestandteile der ätherischen Öle, aber auch Steroide, Carotinoide und viele andere Naturstoffe fallen in diese Stoffklasse. Der Grundbaustein der Terpene (auch Terpenoide genannt) ist das Isopren, das bekannteste biochemische Equivalent eines konjugierten Diens (2-Methyl-1,3butadien). Addiert man zwei Isopreneinheiten, entsteht das einfachste cyclische Terpen – das (±)-Limonen (Monoterpen). Isopren tritt allerdings nicht selbst als Intermediat im Verlauf der Biosynthese auf, sondern nur in Form von zwei reaktiveren Vorläufer-Derivaten. * Monoterpene = 2 Isopren-Einheiten (2 x C 5 = C 10 ), Sesquiterpene (3 x C 5 = C 15 ), Diterpene (4 x C 5 = C 20 ), usw. Seite 06-25 Naturstoffe Chemische Markierung – Isotopenmarkierung Isopentenylpyrophosphat = formal Isopren! Synthetischer Austausch der normalen 12C Isotope gegen 13C O H Woher stammt unser Wissen über Biosynthesewege? Viele Wege konnten durch chemische Markierung aufgeklärt werden. Im Labor wurden naturidentische Substanzen mit einer Isotopenmarkierung* in bestimmten Atompositionen dargestellt. „Verfüttert“ man diese Substanzen z.B. an Pflanzen, so kann man nach einiger Zeit Stoffe aus den Pflanzen zurückisolieren (extrahieren), die diese Isotopenmarkierung „übernommen“ haben. Durch (spektroskopische) Analyse lässt sich damit zum einen feststellen, welche Stoffwechselwege aktiv sind, und zweitens lässt sich exakt „zurückverfolgen“ welche Atome des Ausgangsmaterials in welchen Positionen der Naturstoffe „verbaut wurden“: Pflanzen 1.) verfüttern OPP 2.) extrahieren Faltung Cyclisierung Epoxidase Squalen tertiäres Carbeniumion weitere Umlagerungen Squalen Oxid Lanosterol Cholesterin Steroide etc. * Isotope sind Atomkerne, die sich nur in der Anzahl der Neutronen im Kern unterscheiden, sie haben gleiche chemische Eigenschaften: z.B. 12 C und 13 C, oder 1 H und 2 H (= D = Deuterium). Seite HO Ringöffnung HO 06-26 Biochemische Transformationen Biochemische Equivalente der pericyclischen Reaktionen elektrocyclische 7-Dehydro-Cholesterol photochemische Retro-Diels-Alder-Reaktion Prävitamin D3 antarafaciale [1,7]-sigmatrope Verschiebung 1,7-H-Verschiebung Vitamin D 3 (= Calciferol) Obwohl relativ selten, so hat die Natur aber dennoch Reaktionswege gefunden, sehr komplexe – aber auch einige sehr einfache – Naturstoffe durch sehr elegante pericyclische Reaktionen in wenigen Stufen aufzubauen. In allen Fällen sind poly-konjugierte p-Systeme und mehrere C=C-Doppelbindungen beteiligt, und oft laufen diese Reaktionen ohne enzymatische Katalyse oder Steuerung spontan ab. Die bei diesen Reaktionen aufgebaute Stereochemie kann extrem komplex sein, und wird von der Natur schon in den Ausgangsstoffen exakt so festgelegt, wie sie nachher im Produkt erscheint. Biosynthese von Vitamin D 3 In der Haut wird Vitamin D 3 unter UV-Bestrahlung gebildet. Der erste Schritt ist eine elektrocyclische Ringöffnung, die nur photochemisch ablaufen kann (nicht thermisch), zum Prävitamin D 3 . Der zweite Schritt ist dann eine nachfolgende, spontan ablaufende Isomerisierung unter Wasserstoff-Verschiebung zum Vitamin D 3 . * Die Beispiele sollen nur belegen, dass die Natur das sehr breite Reservoir der Organischen Chemie durchaus in sehr weiten Grenzen ausnutzt. Seite 06-27 Biochemische Transformationen Biosynthese von Endiandrinsäure B konrotatorische 8p-Elektronen Elektrocyclisierung Endiandrinsäure B gehört zur Gruppe der Endiandrinsäuren (A – G), die zu Beginn der 1980er Jahre erstmals von D.St.C. Black et al. aus der australischen Dorrigo-Pflaume* (Endiandra introrsa), einem Regenwaldbaum, isoliert wurden. Die Biosynthese aller Endiandrinsäuren verläuft über zwei aufeinander folgende nicht-enzymatische elektrocyclische Reaktionen. Bei den Endiandrinsäuren A, B und C schließt sich diesen außerdem direkt eine intramolekulare Diels-Alder-Reaktion an, so dass insgesamt aus einer offenkettigen eine tetracyclische Verbindung entsteht. Hier eine Skizze der Biosynthese von Endiandrinsäure B: isoliertes p-System isoliertes p-System konjugierte p-Systeme COOH COOH tetracyclisches System aus 2 Sechs-Ringen, 1 Fünf- und 1 Vier-Ring Endiandrinsäure B COOH COOH H disrotatorische 6p-Elektronen Elektrocyclisierung COOH COOH H Diels-Alder- Reaktion Rotation um C-C-Einfachbindung * Dieses Beispiel soll nur zeigen, dass die Natur kaum Grenzen kennt, und wir die Grenzen der Natur sicher auch noch nicht gefunden haben. Wichtig wäre auch: kann man diese Pflaumen essen? Seite 06-28 Biochemische Transformationen Biosynthese von Phenylalanin und Tyrosin Der bei Säugetieren und Menschen nicht beschrittene Shikimisäureweg der Biosynthese führt in Pflanzen, Bakterien und Pilzen zu den für uns essentiellen Aminosäuren Phenylalanin, Tyrosin, und Tryptophan. Chorisminsäure stellt ein wichtiges Zwischenprodukt entlang dieses Weges dar, die durch eine enzymatisch katalysierte Claisen-Umlagerung (eine [3,3]-sigmatrope Umlagerung) in einen Vorläufer der aromatischen Aminosäuren Phenylalanin und Tyrosin umgelagert wird. Der Shikimisäureweg ist nicht nur für den Proteinaufbau in Pflanzen wichtig, sondern auch für die Biosynthese der Cumarine und Flavonoide sowie Vitamin K. Shikimisäure COOH Chorisminsäure COOH [3,3]-sigmatrope Umlagerung Claisen- Umlagerung HOOC COOH Phenylalanin 1.) - H 2O, - CO 2 2.) Transaminierung Tyrosin 1.) Oxidation 2.) Decarboxylierung (- CO 2) 3.) Transaminierung COOH COOH