Seite E15-1 Organische Chemie - Ergänzungen 15 – Kohlenhydrate (Ergänzungen) Empfehlung: Kapitel 24, Vollhardt/Schore, WILEY-VCH, 2005. Priv.-Doz. Dr. Stefan Immel Universität Leipzig, Wintersemester 2007/2008. Seite E15-2 Carbonyl-Reaktionen der Monosaccharide Imine, Oxime, Semicarbazone und Hyrazone Als (polyhydroxy-substituierte) Carbonylverbindungen zeigen die Monosaccharide typische Reaktionen, wie sie für Aldehyde (Aldosen) und Ketone (Ketosen) zu erwarten sind, wie z.B. die Bildung von Iminen, Oximen, Semicarbazonen und Hydrazonen (vgl. Kapitel 11 – Carbonylverbindungen – Aldehyde und Ketone): primäre Amine H2N R - H 2O [ H ] Semicarbazid - H 2O [ H ] NH 2 NH 2 Imin Semicarbazon Hydroxylamin H2N OH - H 2O [ H ] Phenylhydrazin H2N NH - H 2O [ H ] Oxim Hydrazon Die Bildung von diesen Carbonylderivaten ist unter neutralen Bedingungen möglich, wird aber durch Säurekatalyse erheblich beschleunigt (Aktivierung der Carbonylgruppe durch Protonierung). Die in der Regel sehr gut kristallisierenden Oxime und Semicarbazone stellten in der Vergangenheit wertvolle Derivate der (ansonsten oft nur sirupösen) Monosaccharide dar, die die Reinigung (reversible Bildungsreaktionen) und eindeutige Charakterisierung (gut definierte Schmelzpunkte und Drehwerte dieser Derivate) der Monosaccharide erlaubten. Insbesondere die aus 2,4- Dinitrophenylhydrazin gebildeten 2,4-Dinitrophenylhydrazone stellen sehr gut kristallisierende Monosaccharid-Derivate dar. Seite E15-3 Carbonyl-Reaktionen der Monosaccharide Schema des einleitenden Schritts der Aldolase-Reaktion im Verlauf der Glycolyse und Gluconeogenese: Phosphorylierung verhindert die Ausbildung von 6-Ring Halbacetalen! cyclisches Halbacetal ungünstige, offenkettige Keto-Form der Fructose - H 2O Lysin Lysin Besonders die Imine der Kohlenhydrate stellen relevante biochemische Intermediate dar, da viele enzymatische Reaktionen durch die reversible Bildung von Iminen aus den Carbonylgruppen der Monosaccharide mit primären Aminofunktionen von Aminosäuren (z.B. Lysin) in Enzymen eingeleitet werden (siehe z.B. die Aldolase-Reaktion in Kapitel 11 im Zusammenhang der biochemischen Beispiele zur Aldol-Reaktion): Fixierung der offenkettigen Form durch Bildung eines Imins (Schiff'sche Base in protonierter Form) zu einem Lysin-Rest in der Bindungstasche der Aldolase Im Blut reagiert Glucose mit einer Aminogruppe des Hämoglobins unter Bildung eines Imins und nachfolgender irreversibler Umlagerung in ein a-Aminoketon (? Hämoglobin A 1c ). Die Konzentration an Hämoglobin A 1c ist proportional zur Konzentration des Blutzuckers und stellt damit eine geeignete Methode dar, durch Konzentrationsbestimmung die Blutzuckerwerte von Diabetikern zu kontrollieren. Ähnliche Prozesse (Imin-Bildung zwischen Kohlenhydraten und Aminogruppierungen von Proteinen) werden für diverse Alterungsprozesse verantwortlich gemacht: Glucose offenkettige Aldehyd-Form Imin usw. Hämoglobin Hämoglobin OH OH HN Umlagerung Hämoglobin A 1c Seite E15-4 Carbonyl-Reaktionen der Monosaccharide Osazone Phenylhydrazin - H 2O [ H ] Hydrazon Im Gegensatz zu einfachen Aldehyden und Ketonen bleibt die Reaktion der Aldosen und Ketosen mit Phenylhydrazin allerdings nicht auf der Stufe der Hydrazone (siehe oben) stehen – es erfolgt eine Weiterreaktion mit insgesamt drei Equivalenten Phenylhydrazin zu den entsprechenden Osazonen. Hier erfolgt nach der Bildung des primären Hydrazons die Oxidation mit einem Equivalent Phenylhydrazin (das selbst zu Anilin und Ammoniak reduziert wird) zu einer Dicarbonylverbindung, die dann zu den schwer-löslichen Osazonen führt, die sich aus der Reaktionslösung in Form schöner Kristalle abscheiden:* Aldose Osazon-Bildung führt zum Verlust des Stereozentrums an der Position C-2 Osazon Rotation um die C-C-Bindung zweifache Bildung von Hydrazonen Imin-Enamin- Tautomerie Hydrolyse des Aldimins + H 2O - NH 3 Ammoniak * Wahrscheinlich durch Ausbildung von intramolekularen Wasserstoff-Brückenbindungen und Kristallisation der Osazone bleibt die Reaktion dann auf dieser Stufe stehen. Anilin Seite E15-5 Carbonyl-Reaktionen der Monosaccharide Der Verlauf der Osazon-Bildung (Mechanismus vorherige Seite) zeigt, dass durch den Verlust eines Chiralitätszentrums die C-2-epimeren Aldosen jeweils identische Osazone (mit z.B. identischem Schmelzpunkt) bilden, gleiches gilt für die entsprechende 2-Ketose. So bilden D-Glucose, D-Mannose (? C-2 Epimer) und D-Fructose (? 2-Ketose) unter diesen Bedingungen das gleiche Osazon (das folgende Formelschema vernachlässigt in der Fischer-Projektion die der Bildung der offenkettigen Formen der Monosaccharide vorgelagerten Tautomeren-Gleichgewichte):* D-Glucose Aldohexose oder HO H D-Mannose C-2-Epimer von D-Glucose + 3 H 2N-NH-Ph - NH 3, - H 2NPh * Auch wenn heute die Fischer-Projektion in vielen Bereichen der Kohlenhydrat-Chemie völlig überholt und unübersichtlich erscheint, so hat sie hier und auf den nächsten Seite auch Vorteile. Osazon gemeinsames Osazon von D-Glucose, D-Mannose und D-Fructose + 3 H 2N-NH-Ph - NH 3, - H 2NPh D-Fructose Ketohexose Diese und ähnliche Beobachtungen sind wesentlicher Bestandteil des Konfigurationsbeweises der Monosaccharide von E. Fischer, der maßgeblich zur Aufklärung der Struktur der Kohlenhydrate beigetragen hat (siehe unten). Aufgrund der fehlenden Epimerisierung an C-2 besitzen die ausgehend von D-Glucose, D-Mannose und D-Fructose gebildeten Oxime und Semicarbazone (siehe oben) unterschiedliche Strukturen, und damit auch unterschiedliche Schmelzpunkte. Bevor hier der eigentliche Konfigurationsbeweis von E. Fischer für die Monosaccharide Glucose und Mannose skizziert werden soll, müssen kurz zwei Methoden zur Kettenverlängerung (? Kiliani-Fischer-Synthese) und Kettenverkürzung (? Wohl-Abbau) der Kohlenhydrate diskutiert werden. E15-6 Kettenverlängerung der Monosaccharide Kiliani-Fischer-Synthese Schema der Kiliani-Fischer-Synthese: Cyanhydrin- Bildung NaCN [ H ] Aldose Cyanhydrin Modifizierte Kiliani-Fischer-Synthese: Cyanhydrin- Bildung NaCN [ H ] Aldose Cyanhydrin Nitril- Hydrolyse [ H ] ? Carbonsäure (oder Lacton) partielle Nitril- Hydrierung Pd / BaSO 4 Imin Reduktion zum Aldehyd Na/Hg HCl H 2O Imin-Hydrolyse zum Aldehyd Aldose (um C 1 verlängert) Durch die geschickte Reaktionssequenz der Kiliani-Fischer-Synthese kann die Kohlenstoffkette der Monosaccharide um ein C-Atom verlängert werden. Im ersten Schritt erfolgt mit NaCN oder KCN (C 1 -Baustein!) die Bildung der entsprechenden Cyanhydrine aus den Aldosen. Durch Hydrolyse des Nitrils zur Carbonsäure bzw. dem Lacton (siehe Kapitel 12) und anschließende Reduktion zum Aldehyd erfolgt die Bildung der verlängerten Aldose (original Kiliani- Fischer-Synthese). Alternativ (modifizierte Kiliani-Fischer-Synthese) kann das Nitril partiell zum Imin hydriert (teilweise deaktivierter „vergifteter“ Pd-Katalysator) und direkt zur Aldose hydrolysiert werden:* Achtung: Im ersten Schritt „verschiebt“ sich die Nummerierung der Aldosen um eine Position! = + C O H C-2-Epimere (Diastereomere) Eine Variante der Cyanhydrinbildung mit NaCN/NH 3 führt zu 2-Desoxy-2-amino-zuckern (vgl. Strecker-Synthese). * Beachten Sie die Bildung des neuen Chiralitätszentrums an der C-2-Position des Cyanhydrins, woraus die Bildung von zwei diastereomeren Aldosen resultiert (siehe auch nächste Seite). Seite E15-7 Kettenverlängerung der Monosaccharide Stereochemie der Kiliani-Fischer-Synthese Die Bildung der Cyanhydrine geht einher mit der Generierung eines neuen Chiralitätszentrums. Daher werden im Verlauf der Kiliani-Fischer-Kettenverlängerung zwei unterschiedliche, konfigurations-isomere Aldosen gebildet. Da die in den Ausgangs-Aldosen bereits vorhandenen Chiralitätszentren unverändert bleiben, handelt es sich hier nicht um Enantiomere, sondern um Diastereomere, die auch nicht notwendigerweise in gleichen Verhältnissen entstehen müssen (? keine Bildung von Racematen!). Die Methode der Kettenverlängerung um C1-Bausteine (Cyanid als Quelle von einem C-Atom) macht aus Aldotetrosen die Pentosen zugänglich, und aus Pentosen können Hexosen synthetisiert werden. So entstehen durch die Kiliani- Fischer-Synthese z.B. aus der Aldopentose D-Arabinose die C-2-epimeren Aldohexosen D-Glucose und D-Mannose, wobei letztere zu geringeren Anteilen gebildet wird:* Beispiel der Kettenverlängerung einer Pentose: HO HO = H OH H OH und H OH = D-Arabinose Aldopentose Kiliani-Fischer- Kettenverlängerung Zugegebenermaßen ist die Darstellung der Kiliani-Fischer-Synthese in der Fischer-Projektion übersichtlicher als in Form der Sesselformeln, aber man sollte dennoch nicht die tatsächlich vorliegenden Strukturen aus dem Auge verlieren. D-Glucose Aldohexose C-2 Epimer der D-Glucose ? D-Mannose HO H * Speziell diese Umwandlung von D-Arabinose in D-Glucose und D-Mannose spielt beim Konfigurationsbeweis der Monosaccharide von E. Fischer eine wichtige Rolle (siehe unten). D-Mannose C-2-Epimer von D-Glucose HO HO D-Glucopyranose HO HO D-Mannopyranose a/ß OH E15-8 Kettenverkürzung der Monosaccharide Wohl-Abbau Aldose Oxim- Bildung + H 2NOH - H 2O [ H ] ? C-2-epimere Aldosen Oxim vollständige Acetylierung + n Ac 2O - n AcOH Wohl- Kettenverkürzung O-Acetyl-Oxim 1 C 2 Aldose (um C 1 verkürzt) - AcOH Cyanhydrin- Hydrolyse - HCN Nitril Der Wohl-Abbau stellt die Umkehrung der Kiliani-Fischer-Synthese dar, und dient zur Kettenverkürzung der Aldosen um ein C-Atom: Hexosen werden zu Pentosen abgebaut, Pentosen zu Tetrosen, usw. Der erste Schritt des Wohl-Abbaus besteht in der Bildung der Oxime (siehe oben) aus den Aldosen, die anschließend vollständig mittels Acetanhydrid acetyliert (siehe Kap. 12) werden. Eliminierung von Essigsäure liefert die C-1-Nitrile, die nach Hydrolyse der Acetylgruppen über die Stufe der Cyanhydrine zu den verkürzten Aldosen weiter hydrolysiert werden (in Umkehrung der Kiliani-Fischer-Synthese wird aus D-Glucose und D-Mannose entsprechend D-Arabinose gebildet):* O Achtung: Im letzten Schritt „verschiebt“ sich die Schema des Wohl-Abbaus: Nummerierung der Aldosen um eine Position! Deacetylierung (Verseifung) Nitril C 2 C N CH3ONa / CHCl3 oder Ag / NH3 1 * OH * Bei der Kiliani-Fischer-Synthese hat die Bildung der Cyanhydrine zur Verlängerung um einen C 1 - Baustein geführt, beim Wohl-Abbau erfolgt die Verkürzung über die Hydrolyse des Cyanhydrins. E15-9 E. Fischers Konfigurationsbeweis der Monosaccharide Die Relativ-Konfiguration der Monosaccharide Im Jahre 1891 gelang Emil Fischer (? 2. Nobelpreis in Chemie 1902) die Aufklärung der relativen Konfiguration der Monosaccharide. Insbesondere der Beweis der Konfiguration von Glucose, dem häufigsten natürlich vorkommenden Monosaccharid, stellt auch heute noch ein brillantes Beispiel logisch-naturwissenschaftlichen Denkens dar, das hier skizziert werden soll. Es war bekannt, dass es sich bei Glucose um eine Aldohexose der Summenformel C6 (H2O) 6 handelt, deren stereochemische Konfiguration allerdings unbekannt war. Von den theoretisch möglichen 16 stereoisomeren Aldohexosen (siehe Kapitel 15 – Stammbaum der Aldosen) sind acht Enantiomeren-Paare (z.B. D- und L-Glucose) formulierbar. Da es keine Möglichkeit gab, die absolute Konfiguration zu bestimmen, befasste sich E. Fischer mit der Gruppe der acht Stereoisomere, bei denen die OH-Gruppe an C-5 in der Fischer-Projektion nach rechts zeigt (den sogenannten D-Zuckern; Nummerierung der Formeln 1 bis 8 unten): Eines dieser Monosaccharide musste Glucose (oder deren Enantiomer) sein. Es sollte die relative Konfiguration aller Zucker unter der Annahme des Vorliegens von D-Zuckern bestimmt werden, sollte sich später herausstellen, dass die Zuordnung der D- und L-Reihe falsch gewählt wurde, so wäre die gleiche Argumentationskette dann ganz analog auf die jeweils spiegelbildlichen Verbindungen (Enantiomere) übertragbar (Vertauschung aller D- und L-Formeln):* Die acht möglichen Aldohexosen der D-Reihe: * Anmerkung: Obwohl bekannt war, dass es sich bei Glucose um die rechtsdrehende (+)-Glucose handelt, gibt es keine verlässliche Methode, dem Drehwert eine absolute Konfiguration zuzuordnen! Die Zuordnung der Namen zu diesen Formeln war NICHT bekannt, sie soll hier nur der Übersichtlichkeit halber mit aufgeführt werden: D-(+)-Allose D-(+)-Altrose D-(+)-Glucose D-(+)-Mannose D-(-)-Gulose D-(-)-Idose D-(+)-Galactose D-(+)-Talose E15-10 E. Fischers Konfigurationsbeweis der Monosaccharide 1. Schritt des Konfigurationsbeweises Wird die Kiliani-Fischer-Synthese (siehe oben) mit einem Zucker, den man als (–)-Arabinose* bezeichnete durchgeführt, so entstanden die zwei Monosaccharide die als (+)-Glucose und (+)-Mannose bezeichnet wurden. Da bei der Kiliani-Fischer-Synthese genau ein Chiralitätszentrum an C-2 der hierbei synthetisierten Aldohexose neu gebildet wird, muss es sich bei dem Paar von (+)-Glucose und (+)-Mannose um ein Paar von C-2-Epimeren handeln, also 1 + 2, 3 + 4, 5 + 6 oder 7 + 8: Die möglichen Paare von C-2-Epimeren Aldohexosen: 2 2 2 2 2 2 2 2 * Sowohl die absolute wie auch die relative Konfiguration von (–)-Arabinose waren ebenfalls nicht bekannt. Bekannt war nur, dass es sich um eine Aldopentose der Summenformel C 5 (H 2 O) 5 handelt. Zusätzlich unterstützt wird diese Annahme dadurch, dass (+)-Glucose und (+)-Mannose mit Phenylhydrazin das gleiche Osazon (siehe oben) bilden. Anmerkung: In der Zeit E. Fischers standen noch keine modernen Methoden der Strukturaufklärung (die uns heute so selbstverständlich sind wie z.B. NMR-Spektroskopie etc.) zur Verfügung. Die Identität von Verbindungen oder derer Derivate wurde über deren identische Schmelzpunkte, Drehwerte und andere physikalische Kenngrößen bewiesen. E15-11 E. Fischers Konfigurationsbeweis der Monosaccharide 2. Schritt des Konfigurationsbeweises Die Struktur der Aldarsäuren (Oxidationsprodukte mit HNO 3) der Aldohexosen: Die Behandlung von Aldohexosen mit Salpetersäure HNO 3 erfolgt unter Oxidation sowohl der Aldehydgruppe an C-1 wie auch des primären Alkohols an C-6 zur Stufe der Carbonsäure, und damit unter Bildung der entsprechenden Aldarsäuren (siehe Kapitel 15 – Oxidationsprodukte der Monosaccharide). Es konnte festgestellt werden, dass die Oxidation sowohl von (+)-Glucose wie auch von (+)-Mannose zu optisch aktiven, d.h. chiralen Aldarsäuren führt. Allein die Tatsache, dass diese neuen Derivate einen Drehwert besitzen schließt die Anwesenheit einer Spiegelebene (s) in den Aldarsäuren der Glucose und Mannose aus (? keine meso-Verbindungen!). Da die Aldarsäuren der Zucker 1 (? Allarsäure) und 7 (? Galactarsäure = Schleimsäure) allerdings optisch inaktiv (achiral) sind, muss Glucose und Mannose eines der beiden verbleibenden Verbindungspaare 3 + 4 oder 5 + 6 sein:* (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) 1 1 1 1 1 1 1 1 COOH 6 6 6 6 6 6 6 6 COOH achirale meso- Verbindung COOH COOH COOH COOH COOH COOH COOH COOH COOH verbleibende Möglichkeiten für das Glucose / Mannose-Paar COOH COOH COOH achirale meso- Verbindung COOH * Der Umstand, dass die Aldarsäuren nicht in der offenkettigen Form, sondern als Lactone (Kap. 15) vorliegen, ändert nichts an der Feststellung, ob es sich um chirale oder achirale Strukturen handelt. COOH Seite E15-12 E. Fischers Konfigurationsbeweis der Monosaccharide 3. Schritt des Konfigurationsbeweises Der Befund, dass es sich bei (+)-Glucose und (+)-Mannose um entweder das Verbindungspaar 3 + 4 oder 5 + 6 handelt, bedeutet im Umkehrschluss vom ersten Schritt des Konfigurationsbeweises, dass (–)-Arabinose eine der folgenden Strukturen A oder B aufweisen muss (Umkehrschluss der Kiliani-Fischer-Synthese): HO H Die möglichen Strukturen von (-)-Arabinose (A oder B): 1 2 2 2 2 1 Kiliani-Fischer- Kettenverlängerung Da jedoch die Oxidation von (–)-Arabinose mit HNO 3 eine chirale Aldarsäure mit einem Drehwert ? 0° liefert, muss es sich bei (–)-Arabinose um die Struktur A handeln. Damit müssen (+)-Glucose und (+)-Mannose dem Verbindungspaar 3 + 4 entsprechen. COOH HO H COOH chirale Verbindung mögliche Strukturen der Aldarsäure von (-)-Arabinose achirale meso- Verbindung Kiliani-Fischer- Kettenverlängerung COOH COOH E15-13 E. Fischers Konfigurationsbeweis der Monosaccharide 4. Schritt des Konfigurationsbeweises chemischer "Austausch" der CHO und CH 2OH-Gruppen auf dem "Kopf" stehend Drehung um 180° HO H nicht identisch mit (3) HO H chemischer "Austausch" der CHO und CH 2OH-Gruppen HO H Im letzten Schritt musste gezeigt werden welcher Zucker (Glucose oder Mannose) welcher der Verbindungen 3 oder 4 entspricht. Der chemische „Austausch“ der Aldehydgruppe (Reduktion -CHO ? -CH 2 OH) und der primären Alkoholfunktion (Oxidation -CH 2 OH ? -CHO) liefert den Beweis: Führt man diese (komplexe) Reaktionssequenz mit (+)-Glucose durch, so erhält man ein neues Monosaccharid (nämlich L-Gulose), im Fall von (+)-Mannose erhält man am Ende wiederum (+)-Mannose zurück, die identisch mit dem Ausgangsmaterial ist. Damit ist die Zuordnung bewiesen: Bei (+)-Glucose muss es sich um die Verbindung 3 handeln, bei (+)-Mannose dementsprechend um die Verbindung 4:* auf dem "Kopf" stehend Drehung um 180° HO H identisch mit (4) D-(+)-Glucose L-(+)-Gulose D-(+)-Mannose D-(+)-Mannose Mit ähnlichen und analogen Überlegungen gelang E. Fischer ebenfalls der Konfigurationsbeweis der anderen Aldohexosen, eine Leistung die 1902 mit dem zweiten Nobelpreis in Chemie honoriert wurde. Zugleich war ein überzeugender Beweis für die Richtigkeit der 1891 noch nicht allgemein anerkannten Theorie von van't Hoff und Le Bel über die „Anordnung der Atome im Raume“ (den tetraedrischen Aufbau der C-Atome) erbracht, der wesentlich zur eigentlich erst dann einsetzenden systematischen Entwicklung der organischen Stereochemie beitrug. * In der Fischer-Projektion ist die Drehung um 180° in der Papierebene unter Konfigurationserhalt erlaubt, nicht aber die Drehung um 90° oder die Drehung aus der Ebene heraus (? Inversion!). Seite E15-14 E. Fischers Konfigurationsbeweis der Monosaccharide 5. Die absolute Konfiguration der Monosaccharide E. Fischers Arbeiten konnten noch nicht den Beweis erbringen, ob es sich bei (+)-Glucose und (+)-Mannose letztendlich um D-Glucose und D-Mannose, oder aber um deren Spiegelbilder (Enantiomere) L-Glucose und L-Mannose handelt, es konnte lediglich der Beweis für deren relative Konfiguration erbracht werden. Alle vorgebrachten Argumente bleiben qualitativ analog erhalten, wenn man diese Überlegungen nicht vom Stammbaum der D-Hexosen (siehe oben), sondern ausgehend von dem der L-Hexosen beginnt. E. Fischer konnte nicht entscheiden, oder er mit seiner willkürlich gemachten Annahme, dass es sich um D-Zucker handelt, richtig liegt oder falsch. Lange gab es keine Möglichkeit, diese absolute Konfiguration der Kohlenhydrate zu beweisen (d.h. man konnte keine Entscheidung treffen, ob wir tatsächlich in der „Welt“ der D-Zucker oder vielleicht doch in einer „Spiegelwelt“ der L- Zucker leben!), und man wählte die D-Glucose als willkürliche Bezugssubstanz für alle weiteren Überlegungen. 1906 wurde dann D-Glycerinaldehyd als allgemeine Referenzsubstanz ausgewählt, weil dieser vorteilhafterweise nur ein Chiralitätszentrum besitzt, wobei die Konfiguration von D-Glycerinaldehyd dem C-5-Atom der D-Glucose entsprach. Fischers willkürliche Entscheidung, sicherlich beeinflusst von der Rechtsdrehung der Glucose, erwies sich als eine sehr glückliche, denn erst 60 (!) Jahre später konnte Bijvoet im Jahre 1951 mit einer speziellen Röntgenstrukturanalyse- Technik (anomale Röntgendispersion) zeigen, dass E. Fischer die richtige Wahl im absoluten Sinne getroffen hatte. Andernfalls hätten alle bis dahin getroffenen absoluten Konfigurationszuordnungen „gespiegelt“ und umgekehrt werden müssen – was sicherlich zu einem unüberschaubaren Chaos in der Literatur geführt hätte. Eine sehr lesenswerte und dringend empfohlene (insbesondere für Studenten der Fachrichtung „Lehramt Chemie“) Zusammenfassung der Arbeiten von E. Fischer findet sich hier: „Emil Fischers Beweis der Konfiguration von Zuckern: eine Würdigung nach hundert Jahren“, F. W. Lichtenthaler, Angew. Chem. 1992, 104, 1577-1593. Eine Abhandlung über „Jacobus Henricus van‘t Hoff und sein Einfluss auf die Stereochemie in den Niederlanden in den letzten hundert Jahren“ findet sich unter: E. W. Meijer, Angew. Chem. 2001, 113, 3899-3905. J. H. van 't Hoff (1852-1911) 1. Nobelpreis Chemie, 1901. H. Emil Fischer (1852-1919) 2. Nobelpreis Chemie, 1902. Seite E15-15 Konfiguration der Monosaccharide Historische Anmerkungen Wie oben beschrieben wurde, war E. Fischers Konfigurationszuordnung der D-(+)-Glucose sicher durch die Tatsache beeinflusst, dass es sich hier um die rechts-drehende Form (lat.: dexter, „rechts“) der Glucose handelt (positives Vorzeichen des experimentell bestimmten Drehwertes). Traubenzucker wurde 1792 von Lowitz in Weintrauben entdeckt und als von Rohrzucker verschieden erkannt. D-Glucose ist der alte Fachbegriff für Traubenzucker, er wurde 1838 von Jean-Baptiste André Dumas geprägt (griech.: glykos, „süß“). Sein Kollege Friedrich August Kekulé hielt den Namen Dextrose wegen der rechtsdrehenden Eigenschaft des Traubenzuckers für passender. E. Fischer übernahm aber schließlich den Namen Glucose bei seinen eigenen Arbeiten. Heute finden sich die Synonyme Glucose (oder Glukose), Dextrose (? Handelsname „Dextro Energen“) und Traubenzucker in den Inhaltsdeklarationen von Lebensmitteln. Analog wird die links-drehende D-(–)-Fructose (umgangssprachlich besser bekannt als Fruchtzucker) auch als Lävulose (lat.: laevus, „links“) bezeichnet. Glucose-Produkte Fructose-Produkte E15-16 Konfiguration der Tetrosen und Pentosen Konfigurationsbestimmungen Die Konfigurationen der Aldotetrosen und -pentosen lassen sich folgendermaßen ableiten: Die Konfiguration der Erythrose und Threose (Aldotetrosen) ergibt sich aus der Tatsache, dass Erythrose durch HNO 3 -Oxidation eine achirale Aldarsäure (? meso-Weinsäure) liefert, während die Aldarsäure der Threose chiral ist.* Aus diesen Strukturen ergeben sich durch Kiliani-Fischer-Kettenverlängerung die Aldopentosen (Erythrose ? Ribose und Arabinose bzw. Threose ? Xylose und Lyxose), deren Konfiguration wiederum über die optische Aktivität der abgeleiteten Aldarsäuren bestimmt werden kann (Ribose und Xylose ? achirale Aldarsäuren bzw. Arabinose und Lyxose ? chirale Aldarsäuren): COOH COOH (achiral, meso) COOH COOH (achiral, meso) HNO 3 HNO 3 Oxid. Oxid. D-(-)-Ribose D-(-)-Erythrose Kiliani-Fischer- Kettenverlängerung D-(-)-Arabinose HNO 3 Oxid. Aldotetrosen Aldopentosen COOH COOH (chiral) Kiliani-Fischer- Kettenverlängerung COOH COOH (achiral, meso) * D-Threose liefert die (2S,3S)-Weinsäure, während das Enantiomer L-Threose (2R,3R)-Weinsäure ergibt, während D-und L-Erythrose beide in der Bildung von meso-Weinsäure (achiral) resultieren. HNO 3 Oxid. D-(+)-Xylose D-(-)-Threose Kiliani-Fischer- Kettenverlängerung D-(-)-Lyxose HNO 3 Oxid. HNO 3 Oxid. COOH COOH (chiral) COOH COOH (chiral) Seite E15-17 Präbiotische Bildung der Monosaccharide Formose-Reaktion Eine frühe Beobachtung des russischen Chemikers Aleksandr Mikhailovich Butlerov (1828-1886) hat gezeigt, dass sich in wässrigen Lösungen von Formaldehyd (CH2O) in Gegenwart von Basen (NaOH, aber vor allem auch von zweiwertigen Metallionen wie Ca(OH) 2 etc.) Gemische von Verbindungen bilden, die u. a. Intermediate wie z.B. Glykolaldehyd, Glycerinaldehyd, aber auch Gemische verschiedenster Monosaccharid-Bausteine (d.h. Zucker) wie Aldosen und Hexosen (Tetrosen, Pentosen, Hexosen) enthalten. Ein 1959 von Breslow vorgeschlagener Mechanismus beinhaltet vor allem unterschiedliche Aldol-Reaktionen, Retro-Aldol-Spaltungen und Aldose-Ketose- Isomerisierungen (Lobry de Bruyn – van Ekenstein-Umlagerungen). Diese sogenannte Formose-Reaktion (Formaldehyd-Aldose-Bildung) erklärt zumindest prinzipiell, wie sich unter den präbiotischen Bedingungen der Uratmosphäre aus einfachen Molekülen (Formaldehyd) und einfachen Bedingungen (Alkali- und Erdalkali-Basen) komplexe Biomoleküle wie die Kohlenhydrate bilden konnten. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass die generell vorherrschende Meinung über die Initiation der Formose- Reaktion (auch bei wikipedia.org!) revidiert werden muss: Während lange bekannt ist, dass sich unter alkalischen Bedingungen aus Formaldehyd durch Cannizzaro-Reaktion Methanol und Formiate (die Salze der Ameisensäure) bilden können (? Disproportionierng von Formaldehyd), erscheint die direkte Bildung von Glykolaldehyd und Glycerinaldehyd aus Formaldehyd nicht möglich. Die allgemeine Formulierung „aus Formaldehyd entsteht Glycolaldehyd …“ ist nicht gültig, hierfür kann unter normalen Bedingungen kein plausibler (ionischer) Mechanismus angegeben werden. Es sind aber genau diese Verbindungen Glykolaldehyd und Glycerinaldehyd, die sich als effektive Initiatoren der Formose-Reaktion erwiesen haben. Nur in ihrer Gegenwart bilden sich aus Formaldehyd die Kohlenhydrat-Bausteine, die beobachtet werden.* Die Tatsache, dass dies lange offenbar übersehen wurde, scheint damit begründet werden zu können, dass lediglich Spuren (als Verunreinigungen, insbesondere von Glykolaldehyd) dieser Initiatoren notwendig sind, die sich zudem im Verlauf der weiteren Reaktionen „auto-regenerativ“ selbst nachbilden können (siehe Formelschema auf der nächsten Seite). Die Bildung von Glykolaldehyd (und Glycerinaldehyd) nur unter präbiotischen und photolytischen (!) Bedingungen (UV-Bestrahlung von Formaldehyd-Lösungen) konnte nachgewiesen werden, erst anschließend setzt die eigentliche Formose-Reaktion in Form der Aldol-Reaktionen und Umlagerungen ein. A. M. Butlerov (1828-1886) * Putative mechanism of the sugar formation on prebiotic Earth initiated by UV-radiation: O. Pestunova et al., Advances in Space Research 2005, 36, 214-219. Seite E15-18 Schema der Formose-Reaktion* Formaldehyd Cannizzaro-Reaktion nur h? oder als Verunreinigung Glykolaldehyd Keto-Enol- Tautomerie [ OH ] Retro-Aldol-Reaktion (? 2 Equiv. Glykolaldehyd) z.B. Glucose, Mannose, Galactose ... "auto-regenerative" Rückbildung von Glykolaldehyd und Glycerinaldehyd (? Autokatalyse) (Endiol) Formose-Reaktion LdB-vE- Umlagerung Hydrid- Transfer Aldol- Addition z.B. Ribose, Arabinose, Xylose ... z.B. Fructose, Sorbose, ... Retro-Aldol- Reaktion O O H Ketohexose Retro-Aldol-Reaktion (? je 1 Equiv. Glycerinaldehyd und Dihydroxyaceton LdB-vE- Umlagerung LdB-vE- Umlagerung Keto-Enol- Tautomerie [ OH ] Aldose-Ketose-Isomerisierungen (Lobry de Bruyn – van Ekenstein-Umlagerungen) Erythrose, Threose H O Retro-Aldol- Reaktion OH Aldotetrose HO OH + CH 2O Aldol- Addition O Keto-Enol- Tautomerie LdB-vE- Umlagerung LdB-vE- Umlagerung + CH 2O + CH 2O Aldol- Addition Aldol- Addition OH HO OH Cannizzaro- "Sackgasse" Ohne Anspruch auf Vollständigkeit der möglichen Reaktionspfade! * Präparativ ist die Formose-Reaktion wenig interessant, da zum einen schwer trennbare Gemische entstehen, und zum anderen aber auch alle Verbindungen nur in racemischer Form gebildet werden. Seite E15-19 Lebensmittelchemie – Maillard-Reaktion Maillard-Reaktion Das gemeinsame Vorliegen von Kohlenhydraten und Aminosäuren in Lebensmitteln führt zu nicht-enzymatischen Bräunungsreaktionen beim Braten, Backen, Kochen, unter Bildung geschmacksintensiver Produkte. Aminosäuren und reduzierende Zucker reagieren beim Erhitzen ab ca. 140°C zu Schiff‘schen Basen (Iminen), die in hochreaktive a- Dicarbonylverbindungen und z.T. heterocyclische oder polymere Verbindungen umlagern. Unter den Reaktionsprodukten sind sehr viele, auch polymere oder gefärbte Produkte, die in ihrer Gesamtheit für charakteristische Aromen verantwortlich sind. Diese Reaktionen – nicht zu verwechseln mit dem Karamellisieren von Kohlenhydraten beim Erhitzen – werden allgemein als Maillard-Reaktion (Louis Camille Maillard, 1878-1936) oder Bräunungsreaktion (Melanoidin-Bildungsreaktion) bezeichnet,* viele der gebildeten Geruchs- und Geschmacksstoffe werden z.T. großtechnisch hergestellt und sind nach der Aromen-Verordnung zugelassene Lebensmittelzusätze („Reaktions- Aromastoffe“) mit eigenen E-Nummern. In der ersten Phase der Maillard-Reaktion spielt vor allem die Bildung von N-Glycosiden zwischen reduzierenden Sacchariden und Aminosäuren eine wichtige Rolle (? Bildung Schiff‘scher Basen und Glycosylamine), die gefolgt werden von Umlagerungen (Amadori- und Heyns-Umlagerungen ? a-Aminocarbonylverbindungen) und Umwandlungen der Reaktionsprodukte in a-Dicarbonylverbindungen und deren reaktive Verwandte. Die Amadoriund Heyns-Umlagerung verlaufen analog der Lobry de Bruyn – van Ekenstein-Umlagerung über entsprechende Enol- Zwischenstufen (siehe Formeln auf der nächsten Seite). Bildung von N-Glycosiden zwischen Kohlenhydraten und Aminosäuren: HO HO D-Glucose a/ß OH offenkettige Aldehyd-Form Aminosäuren NH 2 - H2O HO * Ein interessanter Übersichtsartikel zu diesem Thema findet sich unter: „Die Maillard-Reaktion“: M. Angrick, D. Rewicki, Chemie in unserer Zeit 1980, 14, 149-157. Schiff'sche Base (Imin) HO HO Aminosäure-N-Glucosid Seite E15-20 Maillard-Reaktion – Umlagerungen Amadori-Umlagerung: HO HO Aminosäure-N-Glycosid (z.B. D-Glucose-N-glycosid = N-Glycosid einer Aldose) Heyns-Umlagerung: HO HO Aminosäure-N-Glycosid (z.B. D-Fructose-N-glycosid = N-Glycosid einer Ketose) offenkettiges Imin offenkettiges Imin Enamin-Enol Enamin-Enol a-Aminoketon a-Aminoaldehyd HO HO 6 2 ß 1-Amino-1-desoxy-ketose (z.B. 1-Amino-1-desoxy- D-Fructose) 5 O HO HO 1 3 2 a/ß NH OH R 2-Amino-2-desoxy-aldose (z.B. 2-Amino-2-desoxy- D-Glucose) Anmerkung: Beachten Sie die bei der Amadori- und Heyns-Umlagerung analogen Austauschreaktionen zwischen Iminen und Carbonylverbindungen über die jeweilige Zwischenstufe der Enamin-Enole. Die Recyclisierung (? erneute Halbacetal-Bildung) der a-Aminocarbonylverbindungen führt dann zu den jeweils gezeigten Amino-desoxymonosacchariden in ihren unterschiedlichen Halbacetal-Ringformen. Seite Umwandlung von Amadori-Verbindungen in 1,2- bzw. 2,3-Dicarbonylverbindungen: HO HO E15-21 Maillard-Reaktion – Dicarbonylverbindungen 6 2 ß 1-Amino-1-desoxy-ketose (z.B. 1-Amino-1-desoxy- D-Fructose) a-Amino-a-hydroxyketon Endiol Enamin-Enol 2 3 1 H Enol Enol Die folgende Reaktionssequenz aus Enolisierung, Eliminierung und erneuter Tautomerie resultiert in der Bildung von 1,2- oder 2,3-Dicarbonylverbindungen, die im Allgemeinen sehr reaktiv sind und im Verlauf der zweiten Phase der Maillard-Reaktion vielfältige Folgereaktionen eingehen können: Enolisierung nach C-1 Enolisierung nach C-3 Elimin. - H 2O Elimin. - H 2NR 1.) Keto-Enol Tautomerie 2.) Imin- Hydrolyse Keto-Enol Tautomerie 2 3 1 H 3-Desoxy-1,2dicarbonylverbindung CH3 1 1-Desoxy-2,3dicarbonylverbindung Insgesamt geht in der ersten Phase der Maillard-Reaktion aus der Zuckerkomponente (verschiedenste Monosaccharide) eine ganze Palette reaktiver Di- (und auch Tri-) Carbonylverbindungen hervor. Unter die mannigfaltigen weiterführenden Prozesse in der zweiten Phase der Maillard-Reaktion fallen Reaktionen wie z.B. der Strecker-Abbau (? Retro-Strecker-Synthese), die Melanoidin-Bildung (? Aldol-Reaktionen) und andere Folgereaktionen, die u.a. zu einer Vielzahl verschieden substituierter Heterocyclen führen können (siehe Formelschemata auf den nächsten Seiten). Seite Bildung von Furanen, Furanonen und Pyranonen aus Polyhydroxy-dicarbonylverbindungen: E15-22 Maillard-Reaktion – Bildung von Heterocyclen Cyclisierungen (Halbacetal- Bildungen) Eliminierungen 5 2 1 5 5 2 1 5 Aldohexosen Umlagerung OH HO 6 4 2 CH3 5 Umlagerung - H2O - 2 H2O - H2O - 2 H2O (+ Oxidation) - H2O - 2 [ H ] - 2 H2O O O Anmerkung: Gezeigt ist nur eine kleine Auswahl möglicher Reaktionen in der zweiten Phase der Maillard-Reaktion ohne Anspruch auf Vollständigkeit (? Bildung von O-haltigen Heterocyclen). E15-23 Maillard-Reaktion – Bildung von Heterocyclen Bildung von Heterocyclen im Verlauf der Maillard-Reaktion: 3-Desoxy-1,2dicarbonylverbindungen: O Elimin. - H 2O Strecker-Abbau von Aminosäuren: Oxazole Aminosäuren COOH Eliminierung - H 2O Aminosäuren irreversible Decarboxylierung Strecker- Abbau Cyclisierung NH 2 NH 2 Aminosäuren Imin- Hydrolyse N-Acylierung NH 2 Cyclisierung - 2 H 2O ? Aminosäure-Aldehyd und CO 2-Verlust + R-COOH - H 2O CO 2 ? Dihydropyrazine Pyrrole Dimerisierung zweifache Imin-Bildung Oxidation - 2 [ H ] - 2 H 2O Aminosäuren Anmerkung: Gezeigt ist nur eine kleine Auswahl möglicher Reaktionen in der zweiten Phase der Maillard-Reaktion (? Bildung von N-und O-haltigen Heterocyclen). NH 2 O Pyrazine Seite E15-24 Maillard-Reaktion – Melanoidin-Bildung Die Maillard-Reaktion führt schließlich zu rot-braunen bis schwarz-braunen Pigmenten, den sogenannten Melanoidinen, auf die die uns vertraute Farbe gebackener, gebratener oder gerösteter Lebensmittel zurückgeht. Die Bildung komplexer, oligomerer bis polymerer Strukturen durch Poly-Aldol-Kondensation kann aus Dicarbonylverbindungen heraus erklärt werden: Oligomerisierung und Polymerisation durch Aldol-Kondensationen: 3-Desoxy-1,2dicarbonylverbindungen: HO usw. HO O usw. wiederholte Aldol- Kondensation HO O Strukturausschnitt von Melanoidin- Pigmenten Aufgrund der Vielzahl an möglichen Reaktionspartnern und Reaktionsmöglichkeiten (Einbau von Aminoverbindungen z.B. bei der Kondensation von 1-Amino-1,4-didesoxyosonen, Radikalreaktionen etc.) resultiert eine komplexe Struktur der braun gefärbten Verbindungen, es kann also keine definierte Struktur für die Melanoidin-Pigmente angegeben werden. Die Vielfalt organischer Folgeprodukte der Maillard-Reaktion ergibt ein sehr komplexes Bild von Aroma- und Geruchsstoffen die bei der Zubereitung von Nahrungsmitteln entstehen können. Seite E15-25 Maillard-Reaktion – Aromastoffe SH S CH3 O O S Die folgende Zusammenstellung zeigt einige (mehr oder weniger willkürlich ausgewählte) Beispiele für Aromastoffe, die aus der Maillard-Reaktion und entsprechenden Folgereaktionen resultieren können: Maltol (Karamell) Furaneol (Erdbeeren, Ananas) 2-Ethyl-4-methoxypyrazin (rohe Kartoffeln) Furyl-methanthiol (Kaffee) 2-Acetylpyrazin (Popcorn) Furfuryl-methyl-disulfid (Weißbrot) 2-Acetyl-4-methylthiazol (Kaffee) 3,4-Dimethylthiophen (gebratene Zwiebeln) 2,4,5-Trimethyloxazol (Kakao) Formylpyrrol (Kaffee, Nüsse) 2-Acetyl-N-Methylpyrrollidin (Brot) Es ist jedoch immer zu bedenken, dass das Aroma eines Nahrungsmittels in all seinen Nuancen erst durch das Zusammenwirken einer großen Anzahl von Stoffen zustande kommt. Mit modernen mikroanalytischen Methoden (Gaschromatographie/Massenspektrometrie) lassen sich allein im Kaffee ca. 1000, im Fleisch ca. 600 Aromakomponenten nachgeweisen, von denen viele noch nicht identifiziert sind, wobei über die toxikologischen und physiologischen Eigenschaften der Maillard-Produkte z.T. immer noch beunruhigend wenig bekannt ist. Die künstliche Produktion und Anwendung naturidentischer Aromastoffe oder Derivaten davon stellt einen wichtigen Zweig der Lebensmittelchemie dar. Seite 1. Reaktionssequenz der Synthese der L-Aldohexosen nach Masamune & Sharpless: L-(+)-DIPT = mCPBA = E15-26 Synthese der L-Hexosen Nicht-natürliche Monosaccharide – Synthese der L-Hexosen R = -CHPh 2 Sharpless asymm. Epoxidierung Ti(Oi-Pr) 4 (+)-DIPT t-BuOOH (92%, > 95% ee) S N 2 (Inversion) Payne-Umlagerung NaOH PhSH S N 2 Epoxid- Ringöffnung Obwohl in der Natur fast ausschließlich die D-Hexosen auftreten, stellen die entsprechenden Enantiomere, die Monosaccharide der L-Reihe interessante Verbindungen dar, deren biologische Aktivität untersucht wurde. Die hier skizzierte Synthese aller acht L-Aldohexosen nach Masamune & Sharpless stellt ein brillantes Beispiel einer konvergenten asymmetrischen Synthese dar, wobei ausgehend von achiralen Edukten die Chiralitätszentren durch Reagenz-kontrollierte asymmetrische Induktion (asymmetrische Sharpless-Epoxidierung von Allylalkoholen) aufgebaut wurden:* Allylalkohol i-PrOOC COOi-Pr (2R,3R)-Diisopropyltartrat m-chloroperbenzoic acid ? geschützter Aldehyd (Acetoxythioacetal) Pummerer- Umlagerung Ac 2O / NaOAc ? (tot. 93%) Oxidation (? Sulfoxid) mCPBA -78°C Umacetalisierung (? Schutzgruppe) * Ein gute und detaillierte Darstellung der Retrosynthese und Synthesesequenz findet sich unter: K. C. Nicolaou, E. J. Sorensen, Classics in Total Synthesis, 1996, Wiley-VCH, S. 293-315. kat. POCl 3 Anmerkung: Zum Mechanismus der Pummerer-Umlagerung siehe nächste Seite. E15-27 Synthese der L-Hexosen Mechanismus der Pummerer-Umlagerung vom Sulfoxid zum geschützten Aldehyd (Acetoxythioacetal): Sulfoxid Dibal-H = Diisobutylaluminiumhydrid R = -CHPh 2 S Ph Pummerer- Umlagerung Ac 2O / NaOAc H3C O CH3 Acetyl-Rest = Ac Dibal-H / CH 2Cl 2 -78°C K2CO3 / MeOH 25°C Methanolyse des Acetals S Ph Acetanhydrid = Ac 2O ? O-Acetylierung des Sulfoxids Acetat = AcO AcO i-Bu i-Bu S Ph Hydrid- Transfer - CH 3CHO - PhS (tot. 91%) basisch-katalysierte Epimerisierung durch Keto-Enol-Tautomerie Eliminierung - AcOH S Ph (tot. 91%) Inversion an C-2 (tot. ˜ 100%) S Ph L-erythro- Konfiguration ? geschützter Aldehyd (Acetoxythioacetal) Die in der ersten Synthesesequenz dargestellten geschützten Aldehyde (Acetoxythioacetale) können anschließend wahlweise unter Retention (? L-erythro) oder Inversion (? L-threo) der Konfiguration an C-2 in die geschützten Aldotetrosen umgewandelt werden: L-threo- Konfiguration Seite 2. Reaktionssequenz der Synthese der L-Aldohexosen nach Masamune & Sharpless: E15-28 Synthese der L-Hexosen Ti(Oi-Pr) 4 / t-BuOOH (+)-DIPT (76%) L-erythro- Konfiguration 1.) Ph 3P=CHCHO 2.) NaBH 4 Ti(Oi-Pr) 4 / t-BuOOH (-)-DIPT (84%) Sharpless asymmetrische Epoxidierung L-threo- Konfiguration Die so erhaltenen Aldehyde werden anschließend durch Wittig-Reaktion um einen C 2 -Baustein verlängert, zum Allylalkohol reduziert, und wiederum einer asymmetrischen Epoxidierung nach Sharpless unterworfen (vgl. oben): Ti(Oi-Pr) 4 / t-BuOOH (+)-DIPT (71%) 1.) Ph 3P=CHCHO 2.) NaBH 4 Ti(Oi-Pr) 4 / t-BuOOH (-)-DIPT (73%) Seite 3. Reaktionssequenz der Synthese der L-Aldohexosen nach Masamune & Sharpless: E15-29 Payne- Umlagerung + Substitution L-Allose TFA = Synthese der L-Hexosen 1.) NaOH, PhSH, H 2O / t-BuOH, ? 2.) Acetalisierung F COOH F Trifluoressigsäure (= trifluoro acetic acid) L-Altrose L-Mannose Reaktionssequenz 1.) NaOH, PhSH, H 2O / t-BuOH, ? 2.) Acetalisierung L-Glucose L-Gulose 1.) NaOH, PhSH, H 2O / t-BuOH, ? 2.) Acetalisierung L-Idose L-Talose 1.) NaOH, PhSH, H 2O / t-BuOH, ? 2.) Acetalisierung L-Galactose A: 1.) mCPBA B: 1.) mCPBA Oxidation (? Sulfoxid) 2.) Ac2O / NaOAc, ? 2.) Ac2O / NaOAc, ? Pummerer-Umlagerung (? Acetoxythioacetal) 3.) Dibal-H / CH2Cl2 3.) NaOMe / MeOH Freisetzung des Aldehyds unter Retention (A) bzw. Inversion (B) an C-2 4.) TFA / H2O 4.) TFA / H2O Abspaltung der Isopropylidenacetal-Schutzgruppen der Diole 5.) H2 / Pd-C 5.) H2 / Pd-C Hydrogenolytische Abspaltung der Schutzgruppe an C-6 (? L-Hexosen) Seite E15-30 Die Reaktionsprodukte der zweiten Synthesesequenz werden in der anschließenden dritten Sequenz einer der ersten Stufe analogen Umsetzung unterzogen: Nucleophile Substitution mit Thiophenolat nach Payne-Umlagerung, Oxidation der Thioether mit mCPBA (? Sulfoxide) und erneute Pummerer-Umlagerung liefern die als Acetoxythioacetale maskierten Aldehyde. Wie oben, so kann auch hier die Freisetzung der Aldehyde unter Retention bzw. Inversion der Konfiguration an C-2 erfolgen, so dass jeweils die diastereomeren Produkte erhalten werden. Abschließend können durch Abspaltung der Schutzgruppen (Hydrolyse der Isoproylidenacetale mit Trifluoressigsäure TFA ? Freisetzung der Diole, und hydrogenolytische Abspaltung der Etherschutzgruppe an C-6) die insgesamt acht stereoisomeren L-Hexosen (d.h. die Enantiomeren der natürlichen D-Zucker) gewonnen werden.* Durch Einsatz der jeweils enantiomeren Weinsäure-Liganden (DIPT-Liganden) in den jeweiligen Syntheseschritten der asymmetrischen Epoxidierung nach Sharpless können formal auch die spiegelbildlichen D-Hexosen in völlig analoger Art und Weise dargestellt werden – allerdings wäre dieses Verfahren der Totalsynthese der Zucker erheblich aufwendiger und viel teurer als deren Isolierung und Gewinnung aus natürlichen (pflanzlichen) Quellen. L-Glucose wird im Gegensatz zu seinem Enantiomer, dem natürlichen Traubenzucker (D-Glucose), nicht verstoffwechselt und kann nur sehr langsam und nur durch Diffusion in Zellen eindringen, beide Monosaccharide haben aber eine vergleichbare Süßkraft (als “low-calorie”-Süßstoff wäre L-Glucose allerdings viel zu teuer um kommerziell eingesetzt werden zu können). L-Glucose wird langsam über den Urin wieder ausgeschieden. Die physikalischen Eigenschaften von L-Glucose entsprechen denen von D-Glucose (gleicher Schmelzpunkt, gleiche Löslichkeit in Wasser, etc.), mit dem einzigen Unterschied, dass die Drehwerte entgegengesetzte Vorzeichen besitzen (L-(–)-Glucose und D- (+)-Glucose). Das wirft eine Frage zum Abschluss auf: warum ist bei gleichen physikalischen Eigenschaften dann das Stoffwechselverhalten von D- und L-Glucose so drastisch verschieden? 1 CHO 2 D-Glucose HO HO a HO OH a-pyranoide Form Bild Spiegelbild a-pyranoide Form L-Glucose * Ein viel detailliertere Darstellung der Synthesesequenz findet sich unter: K. C. Nicolaou, E. J. Sorensen, Classics in Total Synthesis, 1996, Wiley-VCH, S. 293-315. HO HO HO H HO H 1 CHO 2