Seite 18-1 Teile dieses Kapitels wurden in Auszügen aus dem Skript „Chemie der Naturstoffe“ von Dr. Vostrowsky, Univ. Erlangen, übernommen: http://www.chemie.uni-erlangen.de/hirsch/pages/teaching/naturstoffchemie_otto/naturstoffe.html Organische Chemie - Ergänzungen 18 – Steroide Priv.-Doz. Dr. Stefan Immel Universität Leipzig, Wintersemester 2007/2008. Seite 18-2 Steroide Strukturen der Steroide (C) (D) Steran (beliebige Stereochemie) Gonan (trans-B/C und C/D) trans-trans-trans-Verknüpfung cis-trans-trans-Verknüpfung 19 CH3 10 (A) 3 4 5 Als Steroide werden Verbindungen vom Typ des Cholesterols (= Cholesterin) bezeichnet, die sich aber nach der Anzahl der Doppelbindungen, Art, Zahl und Position funktioneller Gruppen einschließlich der Methylgruppen, der Alkylseitenkette und der Konfiguration von Bindungen (Stereozentren) unterscheiden können. Sie sind üblicherweise fest (griech.: steros, „fest“) und besitzen aufgrund ihrer starren Molekülgestalt eine gute Kristallisierbarkeit. Die Bildung definierter Aggregate mit anderen Molekülen, und die spezifische Komplexbildung von Steroiden mit Proteinen ist vor allem für die Hormonwirkung mancher Steroide verantwortlich. Zahlreiche biologisch wichtige Steroidverbindungen kommen im tierischen Organismus, in Pflanzen und Pilzen, in Membranen,* als Vitamine, Gallensäuren, Steroid- Sapogenine, herzaktive Substanzen, Krötengifte, als männliche und weibliche Sexualhormone, Hormone der Nebennieren und als Steroid-Alkaloide vor. Die Strukturen aller Steroide leiten sich vom Steran (ohne definierte Stereochemie) oder Gonan (jeweils transverknüpfte Ringe B/C und C/D) ab (beide Kohlenwasserstoffe stellen selbst keine „Naturstoffe“ dar). Die unten angegebene Nummerierung entstammt der Konvention für das Steran-Grundgerüst, und wird allgemein in dieser Art und Weise für das Kohlenstoffgerüst aller Steroide übernommen, die Ringe selbst werden mit A, B, C und D bezeichnet. Natürlich vorkommende Steroide weisen entweder cis- oder trans-Verknüpfungen für die Ringe A/B auf, B/C sind stets trans-verknüpft, C/D zeigen meistens eine trans-Verknüpfung: 21 H3C 22 24 26 18 CH3 20 H 23 25 (C) 13 H 14 17 (D) 27 Cholesterol * Da die hydrophoben Steroide im Gegensatz zu den Pflanzenölen (Triglyceride) keine Estergruppen enthalten die hydrolysiert werden können, spricht hier man auch von „nicht-verseifbaren“ Fetten. Seite 18-3 Steroide cis-trans-trans-Verknüpfung abgeflachte sp 2-Zentren Wie allgemein üblich, bilden gesättigte Sechs-Ringe auch innerhalb der Steroide bevorzugt die größtmögliche Anzahl von Sesselkonformationen aus, die unterschiedlichen Verknüpfungsarten der Ringe A/B können jedoch eine sehr unterschiedliche Molekülgestalt bedingen: während die trans-Verknüpfung zu gestreckten Ringsystemen führt, zeigt die cis-Anellierung einen deutlichen „Knick“ in der abgewinkelten Struktur, dennoch liegen jeweils drei Sesselkonformationen der Sechs-Ringe vor. Doppelbindungen und sp2-hybridisierte Zentren innerhalb dieses Gerüsts können jedoch zu „Abflachungen“ einzelner Positionen sowie Halbsessel- oder Twist-Boot-Konformationen führen:* trans-trans-trans-Verknüpfung H H H H H H * Vergleichen Sie hierzu die in Kapitel 2 gemachten Ausführungen, insbesondere die sehr unterschiedliche Flexibilität der zwei konfigurations-isomeren trans-und cis-Decaline (? Molekülmodelle!). Seite 18-4 Steroide 5a-Reihe: 19 CH3 10 (A) 5 trans-trans-trans-Verknüpfung cis-trans-trans-Verknüpfung (C) 13 17 (D) 19 CH3 10 (A) 5 19 CH3 10 Ganz allgemein stellen die Kohlenstoffgerüste der Steroide sehr rigide Strukturen dar, und wie bereits in Kapitel 2 für das trans-Decalin gezeigt wurde ist insbesondere ein „Umklappen“ der Sesselformen nicht möglich (wiederum kann nur empfohlen werden, sich davon wirklich an einem Molekülmodell zu überzeugen!). In der Regel besitzen die Steroide noch zwei anguläre Methylgruppen (C-18 und C-19) in den Gerüstpositionen C-10 und C-13, sowie eine mehr oder weniger lange Seitenkette an C-17 (die Nummerierung der Seitenkette beginnt dann mit C-20; siehe die vorne angegebene Formel für Cholesterol). Als Bezugspunkt für die Bezeichnung von stereoisomeren Steroiden wird die anguläre Methylgruppe 18-CH3 an der Position C-13 gewählt, die ebenso wie die C-17-Seitenkette in allen natürlichen Steroiden grundsätzlich im Halbraum „oberhalb“ der Ringebene steht. Nach L. L. Fieser werden Substituenten, die sich auf derselben Seite des Ringsystems befinden wie die C-13-Methylgruppe („oberhalb“ der Hauptebene der Steroide) als ß-ständig, Substituenten auf der anderen Seite („unterhalb“ der Ringebene) als a-ständig bezeichnet:* ß-Halbraum 5ß-Reihe: 21 H3C 22 24 26 18 CH3 20 H 23 25 13 17 27 13 CH3 13 CH3 10 13 a-Halbraum (C) 13 17 (D) Bezugspunkt Bezugspunkt ß-Halbraum a-Halbraum HO 3 5a-Cholestan-3ß-ol * Beachten Sie die Stellung des 5-H-Atoms in der 5a- und der 5ß-Reihe; im 5a-Cholest-8-en-3ß-ol steht die OH-Gruppe „überhalb“ der Ringebene; 3a-OH-Steroide werden als epi-Steroide bezeichnet. Seite 18-5 Steroide Beispiele für wichtige Steroide und Steroid-Hormone: Testosteron (Androgen) 17ß-Estradiol (Estrogen) Cortison (Corticoid) Stigmasterol (Phytosterol) Weitere Unterschiede zwischen den unterschiedliche Seitenketten der Steroid-Grundgerüste (ohne typische Substituenten): individuellen Strukturen in verschiedenen Klassen der Steroide ergeben Estran (Estrogene) (C18) R = H (19-Nor-Steroide) sich bezüglich der mehr oder weniger verkürzten Seitenkette. Die Tabelle auf der rechten Seite gibt einen kleinen Überblick über typische Strukturmerkmale unterschiedlicher Androstan (Androgene) Pregnan (Gestagene) (Corticoide) Cholan (Gallensäuren) (C19) (C21) (C24) R = R = R = H C2H5 CH3 19 CH3 18 R CH3 17 Steroidklassen. CH3 CH3 Da der englische Begriff „Sterol“ für „Sterin“ steht, werden im deutschen Sprachraum beide Begriffe synonym gebraucht. Hier in diesem Skript wird meist von „Sterolen“ gesprochen. Cholestan (Zoosterole) (C27) Ergostan (Mycosterole) (C28) Stigmastan (Phytosterole) (C29) R = R = CH3 X CH3 CH3 CH3 X = CH3 X = C2H5 Anmerkung: Fehlende C-Atome werden durch das Präfix „Nor“- angegeben, z.B. 19-Nor-Steroide für die fehlende Methylgruppe in 10-Stellung, oder A-Nor-Steroide für Steroide mit einem fünfgliedrigen A-Ring. Das Präfix „Homo“- wie z.B. D-Homo- bezeichnet Ringerweiterungen im D-Ring, der Vorsatz „Seco“- bezeichnet entsprechend Ringspaltungen wie in Vitamin D als B-Seco-Steroid (siehe unten). Seite 18-6 Steroide – Cholesterol Cholesterol Lanosterol insgesamt 19 Stufen Entfernung von drei CH 3-Gruppen aus den Positionen C-4 und C-14 Verschiebung der C=C-Bindung von C 8-C 9 nach C 5-C 6 Hydrierung der C=C-Bindung in der Seitenkette 19 CH3 10 (A) 3 4 5 (–)-Cholesterol (= Cholesterin, griech.: chole, „Galle“) ist das wichtigste Steroid der Wirbeltiere, kommt in allen Teilen des tierischen Körpers vor, konzentriert vor allem in der Galle (? Isolation 1775, Conradi), Gehirn und Rückenmark. Der menschliche Körper enthält etwa 300 g Cholesterol in freier Form oder als Fettsäureester, 1.4-3.3 g werden im menschlichen Blut gefunden. Cholesterol wird hauptsächlich in Form tierischer Nahrungsmittel aufgenommen, aber auch im Körper synthetisiert. Mit zunehmendem Alter tritt oft eine Störung des Cholesterolhaushalts ein, Ablagerungen an den Arterienwänden führen zur Arterienverkalkung (? Arteriosklerose). Die meisten Gallensteine bestehen aus Cholesterol und werden auf mangelnden Cholesterol-Abbau in der Leber zurückgeführt. Obwohl Cholesterol selbst keine nennenswerten physiologischen Aktivitäten besitzt, nimmt es als Ausgangsmaterial für alle übrigen Steroide im tierischen Organismus eine zentrale Stellung im Steroidstoffwechsel ein. Es konnte für die Biosynthese des Cholesterols gezeigt werden, dass alle C-Atome aus Acetat stammen. Durch Schwanz-Schwanz- Dimerisierung von Farnesylpyrophosphat wird der all-trans-Triterpenkohlenwaserstoff Squalen gebildet, Epoxidierung (? Squalenoxid) und Cyclisierung (? Lanosterol) führt zu tetracyclischen Methylsterolen (C30-Gerüste; für Details siehe Kapitel 17 – Terpene und Terpenoide), die im Vergleich zu den Steroiden (C27-Gerüste) drei zusätzliche Methylgruppen besitzen. Bei den Tieren und Pilzen tritt Lanosterol als Zwischenprodukt auf, durch Abspaltung von drei Methylgruppen und eine Reihe von Hydrierungs-Dehydrierungsschritten entsteht daraus das Cholesterol:* 21 H3C 22 24 26 18 CH3 20 H 23 25 (C) 13 H 14 17 (D) 27 Cholesterol * Cholesterol enthält eine 3ß-OH-Gruppe und eine 5,6-Doppelbindung im B-Ring (? Halbsessel- Konformation). Die einzelnen Schritte der Biosynthese sind auf der nächsten Seite dargestellt. Zymosterol 18-7 Biosynthese von Cholesterol aus Lanosterol Isomerase (B) 5 7 6 Modifikation von Ring B Lanosterol = 5 Schritte* (NAD(P)H) CO 2 Sterol-14- Demethylase 3 NADPH 3 O 2, 3 H 3 NADP 4 H 2O HCOOH Heme-Thiolat-Enz. (P450) = 4 Einzelschritte Modifikation der Seitenkette Desmosterol Modifikation von Ring D Reduktase NADP NADPH H ?14-Sterol- Reduktase NADPH H ?14-Sterol- Reduktase NADPH H NADP NADP Modifikation von Ring A 3 NAD(P)H 3 H , 3 O 2 19 CH3 10 (A) 3 4 5 Decarboxylase* NADH H , CO 2 * Anmerkung: Oxidation zur ß-Ketocarbonsäure und anschließende Decarboxylierung (? CO 2): NAD(P) 3 H 2O 14-Demethyl-lanosterol Oxygenase (Cytochrom B 5) = 3 Schritte HOOC CH 3 21 H3C 22 24 26 18 CH3 20 H 23 25 (C) 13 H 14 17 (D) 27 Cholesterol * Sehr elegant ist die Entfernung der zwei 4-CH 3 -Gruppen unter Zuhilfenahme der 3-OH-Funktion: Die Oxidation OH ? C=O ermöglicht die Decarboxylierung der ß-Ketocarbonsäure (? Kap. 13!). 18-8 (A) 3 4 Zymosterol Biosynthese von Cholesterol aus Lanosterol 14-Demethyl-lanosterol R = CH3 R = CH2OH R = CHO R = COOH (A) 4 3 NAD(P)H 3 H , 3 O 2 NAD(P) 3 H 2O HO HO Cytochorm B 5 abhängige Oxygenase = 3 Oxid.-Schritte Decarboxylase (1.: Oxidation) NADH H Detail-Betrachtung: Das folgende Schema zeigt den detaillierten Mechanismus der Demethylierung der zwei Methylgruppen in 4-Position des Lanosterols durch oxidative Decarboxylierung (? 2 CO 2 ): (A) 3 4 Wiederholung der 5 Schritte (NAD(P)H) CO 2 Reduktase NADP NADPH H (2.: spontane Decarboxylierung) Keto-Enol- Tautomerie Die zweite Methylgruppe wird durch Wiederholung der gesamten Reaktionssequenz auf eine ganz analoge Art und Weise ebenfalls durch oxidative Decarboxylierung durch das gleiche Enzym entfernt. In beiden Fällen entfernt diese Decarboxylase eine 4a-Methylgruppe nach Oxidation zur 4a-Carboxylgruppe! CO 2 Seite Zymosterol ?24-Sterol- Reduktase 18-9 Biosynthese von Cholesterol (B) 5 6 Anmerkung: In dem komplexen Reaktionsschema der Biosynthese von Cholesterol ausgehend von Lanosterol oben wurden einige Schritte zusammengefasst (z.B. die fünf Schritte der Abspaltung der letzten Methylgruppe durch Oxidation, hinter denen sich wie gezeigt die fünfstufige Reaktionsfolge -CH 3 ? -CH 2 OH ? -CHO ? -COOH ? Oxidation zur ß-Ketocarbonsäure und Decarboxylierung ? Reduktion von C=O usw. verbirgt). Ein weiteres Detail der biosynthetischen Umwandlung von Lanosterol in Cholesterol ist, dass die Modifikation des Rings B (Verschiebung der C=C-Doppelbindung) und der Seitenkette auch in anderer Reihenfolge stattfinden kann, da die ?24-Sterol-Reduktase von Zymosterol bis Desmosterol alle Zwischenstufen als Substrat akzeptiert (z.B. Zymosterol ? über die Stufen von Desmosterol oder Lathosterol ? Cholesterol): Modifikation der Seitenkette Modifikation von Ring B Isomerase Isomerase = Lathosterol Reduktase - 2 [ H ] Reduktase Reduktase + 2 [ H ] Reduktase Desmosterol = Cholesterol Ein sehr gute Übersicht über die beschriebenen Stoffwechselwege zeigen die hinten abgebildeten Auszüge aus der KEGG Datenbank (Kyoto Encyclopedia of Genes and Genomes), die im Internet als „anklickbare Landkarten“ verfügbar sind, auf denen alle Zwischenprodukte und Enzym-Reaktionen direkt verlinkt und einsehbar sind.* * Diese Stoffwechselwege sind nicht zum auswendig lernen gedacht – Sie müssen aber ein vorgegebenes Schema „lesen“ können und verstehen was in den Einzelschritten jeweils passiert! Seite H 3C 18-10 Biosynthese von Cholesterol Acetat Acetyl-S-CoA Mevalonat IPP DMAPP 35 Stufen Von Lanosterol bis Cholesterol umfasst die Biosynthese (alle „nachweisbaren Zwischenprodukte“ mitgezählt) insgesamt 19 Stufen! Berücksichtigt man, dass alle Kohlenstoffatome des Cholesterols letztendlich aus Acetat stammen, so ergibt sich eine beträchtliche Syntheseleistung der Natur: Ausgehend von Acetat werden 35 einzelne Syntheseschritte bis zum Cholesterol benötigt!* GPP FPP Präsqualen Squalen Squalenepoxid Lanosterol Cholesterol Die Anzahl mehrerer, nicht einzeln aufgeführter Einzelschritte ist jeweils in Klammern angegeben. Beweise für die beschriebene Biosynthese von Cholesterol aus Acetat ergeben sich wiederum aus Untersuchungen mit Isotopen-markiertem Acetat: 13C-markiertes Acetat Biosynthese über Mevalonat, IPP und DMAPP * ohne Angabe der Stereochemie Protosteryl-Kation* J. L. Gaylor, Biochem Biophys Res Commun. 2002, 292, 1139-1146. J. M. Risley, J. Chem. Educ. 2002, 79, 377-384. * Siehe auch Kapitel 17 – Biosynthese der Terpene; „zählen“ Sie die Anzahl der Stufen einmal nach! (19) Cholesterol Seite 18-11 Biologische Bedeutung von Cholesterol Extrazellulärer Raum (Vesikel/Golgi-Lumen) "Normale" Lipid-Membran "Lipid-raft" Intrazellulärer Raum (Cytosol) (Lipid-Floß) Erst nach 80 Jahren Forschung stand die Strukturformel von Cholesterol fest (Rosenheim und H. Wieland, 1932). Die Klärung der Stereochemie gelang durch Röntgenstrukturanalyse (D. Crowfoot-Hodgkin, Nobelpreis 1964), NMR- Spektroskopie und chiroptische Methoden, 1951 gelang die Totalsynthese (Robinson und R. B. Woodward) von Cholesterol. Vor allem durch Untersuchungen am Cholesterol (Diels, Windaus) sowie an den Gallensäuren (H. Wieland) gelang die Aufklärung des Kohlenstoffgerüsts der Steroide. Die sehr rigide Struktur (trans-verknüpfte Cyclohexanringe A/B und B/C) und fast „brettartige“ Geometrie (siehe 3D-Modelle von Cholesterol, insbesondere die „Seitenansicht“) stellen vielleicht die wichtigste biologische Eigenschaft von Cholesterol dar: Durch Assoziation mit Glycolipiden und Sphingolipiden bilden sich in Zellmembranen Cholesterol-reiche Mikrodomänen („Lipid-rafts“), die wie Flöße auf der in der Membran schwimmen. Die Beweglichkeit von Membranen wird dadurch erhöht, gleichzeitig nimmt aber auch deren Stabilität zu. Kugel-Stab-Modell von Cholesterol: „Seitenansicht“: Cholesterol Glycolipid Glycoproteine und Glycolipide "Lipid-raft" gebundenes Transmembran-Protein Membran- Protein Seite 18-12 Steroide – Zoosterole und Phytosterole Zoosterole Cholesterol Koprostanol Desmosterol Von der Klasse der sogenannten Zoosterole (= Zoosterine, Steroide tierischen Ursprungs), die bei den Wirbeltieren (Vertebratae) gefunden werden, ist Cholesterol der wichtigste Vertreter. In den Faeces findet man z.B. noch das 5ß- Stereoisomere des Cholestanols (? cis-Verknüpfung der Ringe A/B), das von Darmbakterien gebildete Koprostanol. Wirbellose (Invertebratae) enthalten noch weitere Sterole wie z.B. das Desmosterol (24-Dehydrocholesterol, Stoffwechsel-Intermediat der Cholesterol-Biosynthese) in erheblicher Menge. Zoosterole werden vor allem aus Wollfett und Fischöl, außerdem auch aus dem Rückenmark von Rindern und Schweinen gewonnen. Phytosterole Phytosterole (= Phytosterine) sind die Sterole der Pflanzen und Mikroorganismen, wobei solche aus niederen Pflanzen wie Algen und Pilzen oft noch als Mycosterole bezeichnet werden. Sie besitzen die gegenüber den C 27 - Zoosterolen eine (? Ergostan-Reihe, C 28 ) oder zwei weitere Methylgruppen (? Stigmasteran-Reihe, C 29 ) in der Seitenkette und oftmals noch zusätzliche Doppelbindungen. Seite 18-13 Steroide – Phytosterole Ergosterol (= Ergosterin, Provitamin D2) wurde erstmals aus Mutterkorn isoliert (Tanret, 1989), ist als wichtigstes Mycosterol in vielen Algen, Pilzen, Flechten und fetten Ölen zu finden und ist das Hauptsterol der Hefe, aus der es leicht zu gewinnen ist. Stigmasterol (= Stigmasterin) wurde ursprünglich aus der Calabar-Bohne isoliert, wird aber heute aus dem unverseifbaren Anteil von Sojaöl gewonnen. Sitosterole sind im Getreide enthalten, ß-Sitosterol im Weizenkeimöl. Campesterol kommt zusammen mit Sitosterol und Stigmasterol als eine der Hauptkomponenten in der Sterolfraktion mehrerer Pflanzen- und Saatöle vor und wurde auch in Mollusken gefunden. In Algen ist neben Ergosterol noch das Fucosterol enthalten, das eine weitere Methylgruppe in der Seitenkette besitzt. Brassicasterol kommt relativ häufig in der Sterolfraktion von Rapssaat- und Senfsaatöl vor. Phytosterole sind etwa mit 0.3% in Pflanzenölen zu finden. Natürliche Phytosterole können selbst als Gemische als Rohstoffe für die Herstellung von Steroidpharmaka genutzt werden. Mittlerweile wurden mikrobiologische Verfahren entwickelt, die unterschiedlichen Seitenketten zu einheitlichen Endprodukten wie Androstendion und Androstadiendion abzubauen. Ergosterol Campesterol Stigmasterol Fucosterol ß-Sitosterol Brassicasterol 18-14 Steroide – Vitamin D, Cholecalciferol und Ergocalciferol Vitamin D R 3 = 23 R 2-4 Dehydrogenase - 2 [ H ] H2C H H Das fettlösliche Vitamin D ist von der Struktur hier eigentlich kein Steroid, wird aber biosynthetisch aus Steroiden gebildet und soll daher in diesem Zusammenhang diskutiert werden. In der Gruppe der D-Vitamine unterscheidet man Vitamin D2 (Calciferol = Ergocalciferol aus Ergosterol), D3 (Cholecalciferol aus Cholesterol) und D4 (22,23- Dihydroergocalciferol = gesättigte Form von D2 ); Vitamin D1 ist eine 1:1 Verbindung von Vitamin D2 und Lumisterol. Durch UV-Licht werden 5,7-Didehydrosterole (Provitamine D) im Organismus hauptsächlich in Prävitamin D umgewandelt, das anschließend in Vitamin D übergeht. Das Provitamin D3 des tierischen Organismus ist das 7-Dehydrocholesterol, das in der Leber aus Cholesterol gebildet wird. Es reichert sich in der Fettschicht der Haut an und wird unter UV-Bestrahlung (? ˜280 nm; Sonnenlicht) durch photochemische elektrocyclische Ringöffnung des B-Ringes in das Prävitamin D3 (Prächolecalciferol, 9,10-seco- Steroid) umgewandelt. Eine spontan (thermisch) ablaufende sigmatrope Umlagerung (1,7-H-Shift) ergibt dann das eigentliche Vitamin D3 (Cholesterol ? Cholecalciferol); analog verläuft die Bildung von Vitamin D2 (Ergosterol ? Ergocalciferol) und Vitamin D4 :* R 2 = R 4 = Spaltung von Ring B Provitamin D Prävitamin D = Cholesterol R 3: 7-Dehydrocholesterol R 2: Ergosterol Ringöffnung h? Umlagerung 1,7-H-Shift Vitamin D R 3: Cholecalciferol = Vitamin D 3 R 2: Ergocalciferol = Vitamin D 2 R 4: = Vitamin D 4 5 10 (A) 3 * Die Bezeichnung „1,7-H-Shift“ bedeutet nur, dass ein H-Atom von einem C-Atom auf ein sieben Positionen entferntes C-Atom verschoben wird (kein Bezug zur Nummerierung der Steroidgerüste). R 2-4 Seite 18-15 Steroide – Vitamin D Fischöle und Eigelb sind die reichesten Quellen für Vitamin D 3 , in geringen Mengen findet es sich aber auch in Milch und Butter. Nach Hydroxylierung in Position 25 (Leber) und 1 (Niere) entsteht aus Vitamin D 3 die eigentliche aktive Form des Vitamin D- Hormons (Calcitriol), das an verschiedene Rezeptoren bindet und die Transkription zahlreicher Gene reguliert. Ein Vitamin D Mangel (= Lichtmangel!) führt zu einer Reihe von Veränderungen im Stoffwechsel, die mittelfristig zu den schweren Krankheiten Rachitis (Knochenerweichung) bei Kindern und Osteomalazie bei Erwachsenen führen. Vitamin D 3 (= Calciferol) zweifache Hydroxylierung HO OH Vitamin D-Hormon (= Calcitriol) Das endokrine Vitamin D-System spielt eine wesentliche Rolle für die Regulierung des Calcium-Spiegels im Blut und für den Aufbau einer physiologischen Knochenarchitektur. Streng genommen ist Vitamin D 3 allerdings kein Vitamin, da Vitamine definitionsgemäß Substanzen darstellen, die nicht selbst synthetisiert werden können, aber dennoch essentiell zum Leben benötigt werden und daher zugeführt werden müssen. Die Vorstufen des sogenannten Vitamin D können aber unter Sonneneinstrahlung selbstständig im tierischen Organismus hergestellt werden. Natürliche Vitamin D Quelle (Eigelb) Künstliche Vitamin D Präparate Deformation durch Vitamin D Mangel Rachitische Handgelenksdeformation NICHT: 18-16 Steroide – Ringöffnung zum Vitamin D 3 Provitamin D 3 disrotatorische Ringöffnung (nicht möglich) Ringöffnung starke Deformation des C-Rings SONDERN: konrotatorische Ringöffnung (sterisch möglich) Interessant ist der Reaktionsverlauf der Ringöffnung des B-Rings von Provitamin D auf dem Weg der Bildung des Vitamin D. Aus sterischen Gründen muss diese Ringöffnung konrotatorisch erfolgen, d.h. die Ringsubstituenten an der zu öffnenden Bindung – die Methylgruppe und das H-Atom – müssen sich gleichsinnig (beide im Uhrzeigersinn) drehen. Die disrotatorische (gegensinnige Drehung der Substituenten) würde zu hohen Spannungen in den benachbarten Ringen führen. Diese konrotatorische elektrocyclische Ringöffnung ist allerdings aus Gründen der Orbitalsymmetrie (siehe dazu das Formelschema auf der nächsten Seite) nur unter „photochemischen“ (nicht „thermischen“) Bedingungen möglich,* so dass die Vitamin D Biosynthese zu einer der sehr seltenen, wirklich photochemischen Umsetzungen im Stoffwechsel der Säugetiere darstellt: Drehung im UZS Drehung gegen UZS Prävitamin D 3 Drehung im UZS geöffneter B-Ring = Drehung im UZS * Zur Orbitalsymmetrie und den Woodward-Hoffmann-Regeln elektrocyclischer Reaktionen siehe ein Lehrbuch der Organischen Chemie, z.B. Clayden, Warren, Kapitel 35-36. keine Deformation des C-Rings Seite NICHT: 18-17 Steroide – Biosynthese von Vitamin D 3 Synthese von Vitamin D 3 in der Haut unter UV-Bestrahlung (zwei pericyclische-Reaktionen) Provitamin D 3 Stereochemie der Ringöffnung: HOMO (p) disrotatorische Ringöffnung (nicht möglich) Orbitalmodelle der Ringöffnung: LUMO (s*) antarafaciale [1,7]-sigmatrope Verschiebung Retro-Diels-Alder-Reaktion 1,7-H-Verschiebung thermische Ringöffnung konrotatorisch (verboten) SONDERN: photochemische Anregung h? (Übergang p ? p*) konrotatorische Ringöffnung (sterisch möglich) keine Orbitalüberlappung Prävitamin D 3 HOMO (p*) LUMO (s*) antarafacialer 1,7-H-Shift (erlaubt) h? spontan Vitamin D 3 (= Calciferol) photochemische Ringöffnung konrotatorisch (erlaubt) Orbitalüberlappung Seite 18-18 Steroide – Gallensäuren Gallensäuren COOH Koprostansäure COOH Cholsäure Desoxycholsäure Lithocholsäure Chenodesoxycholsäure Hyodesoxycholsäure Ursodesoxycholsäure Die Gallensäuren (engl.: bile acids) stellen Abbauprodukte der Steroide dar, die in der Leber aus Cholesterol der Nahrung gebildet (? primäre Gallensäuren, z.B. Cholsäure, Chenodesoxycholsäure und Trihydroxykoprostansäure) und in die Galle ausgeschieden werden; mit der Abgabe von Gallenflüssigkeit in den Darm werden sie dort teilweise durch Bakterien verändert (? sekundäre Gallensäuren, z.B. Desoxycholsäure, Ursodesoxycholsäure und Lithocholsäure). Die Stammkörper der Gallensäuren stellen die nicht natürlich vorkommende Cholansäure (C24 ) und Koprostansäure (C27 ) dar, sehr selten kommen C28-Gallensäuren vor. Die Gallensäuren gehören der 5ß-Reihe an (cis-Verknüpfung der Ringe A/B) an, und besitzen neben einer Carboxylgruppe in der C17-Seitenkette (Oxidation in der Leber) noch zusätzlich eine bis drei OH-Gruppen in der 3-, 6-, 7- und/oder 12-Position, die fast ausschließlich a-konfiguriert sind. Bei den Säugetieren kommen ausschließlich C 24 -Cholansäure- Derivate vor, in der menschlichen Galle überwiegt die Chenodesoxycholsäure neben Cholsäure und Desoxycholsäure, Lithocholsäure findet man in Spuren. In der Galle von Amphibien und Reptilien sind C 27 -und C 28 -Säuren enthalten. In Pflanzen sind A/B-cis-Verknüpfungen des Steroidgerüsts bisher offenbar noch nicht gefunden worden. Gallensäuren Name R 1 R 2 COOH Seite 18-19 Steroide – Gallensäuren Gallensäuren sind durch ihren hydrophoben und hydrophilen Strukturteil grenzflächenaktiv (amphiphil) und zur Micellenbildung befähigt. Sie spielen bei der Emulgierung und Verdauung von Fetten eine entscheidende Rolle und erleichtern die Resorption vieler Arzneimittel im Darm. Die eigentlichen Gallensäuren liegen als Salze (Carboxylate) vor, oder werden – nach Aktivierung durch Coenzym A – säureamidartig an Glycin (H2NCH2COOH) als Glycocholsäure oder an Taurin (H2NCH2CH2SO3H) als Taurocholsäure gebunden (? Gallensäuren-Konjugate). Die stärker sauren Tauro-Konjugate sind häufiger, lediglich bei einigen pflanzenfressenden Säugetieren überwiegen die Glyco-Konjugate (hier nicht zu verwechseln mit Glycosiden!). So bildet z.B. Desoxycholsäure mit geradkettigen Fettsäuren oder mit hydrophoben Alkoholen, Estern oder Ethern Einschlussverbindungen, und fungiert somit als Lösungsvermittler für Stoffwechselprodukte (Fettsäuretransport, Fettverdauung und Fettresorption, Resorption der fettlöslichen Vitamine D, K und der Carotine) und von Fremdstoffen. Bei einer täglichen Produktion von ca. 0.8 g der Gallensäuren werden von der Galle insgesamt 20–30 g/Tag in den Darm ausgeschieden, die aber größtenteils im enterohepatischen Kreislauf erhalten bleiben, und nur z.T. mit dem Stuhl ausgeschieden werden. Cholsäure HO OH H Amid Glycin Glycocholat (Salz der Glycocholsäure) Cholsäure HO OH H Amid Taurin S O O Taurocholat (Salz der Taurocholsäure) Seite 18-20 Steroid-Sapogenine Steroid-Sapogenine Aglycon = Sapogenin: X = H X = OH ß-D-Xylp-(1?3)-ß-D-Glcp-(1?4)-ß-D-Galp ß-D-Glcp-(1?3)-ß-D-Galp-(1?2) Tigogenin Digitogenin O-glycosidisch gebundenes Pentasaccharid Saponin: X = H X = OH Tigonin Digitonin Allgemein stellen Saponine (lat.: sapo, „Seife“) grenzflächenaktive Substanzen dar, die in wässriger Lösung zur Schaumbildung neigen. Es handelt sich hierbei vor allem um pflanzliche O-Glycoside (Aglycon = Sapogenin, Gesamtstruktur = Saponin) von Steroiden, Steroid-Alkaloiden (Stickstoff-haltige Steroide) oder Triterpenen. Die strukturelle Klassifikation der Saponine erfolgt zunächst anhand der Aglycone (Sapogenine), da der Saccharidteil selbst in ein und derselben natürlichen Quelle mitunter stark variiert und oft verschiedene Glycosylierungsmuster nebeneinander zu finden sind. Charakteristisch für die meisten Steroid-Sapogenine ist die Spirostan-Struktur mit der Spiroketal-Einheit (Dioxaspiro[4.5]decan bzw. Dioxaspiro[4.4]nonan Ringsysteme). Erwähnt seien hier nur die Steroid- Sapogenine Tigogenin und Digitogenin aus den Digitalisglycosiden (giftige, aber nicht herzaktive Saponine Tigonin bzw. Digitonin) von dem Roten und Wolligen Fingerhut (Digitalis purpurea und D. lanata),* sowie Nuatigenin 3-ß-Dglucopyranosid, ein Saponin aus den oberirdischen Teilen des Hafers (Arena sativa) mit Nuatigenin als Aglycon: ß-D-Glcp Aglycon = Sapogenin: Nuatigenin Nuatigenin 3-ß-D-glucopyranosid * Diese giftigen Steroid-Saponine Tigonin bzw. Digitonin sind nicht zu verwechseln mit den ebenfalls giftigen herzaktiven Steroiden Digitoxigenin und Strophanthidin des Fingerhuts. 18-21 Steroid-Sapogenine Saponine sind insbesondere in höheren Pflanzen weit verbreitet, besonders in nährstoffreichem Gewebe, wie Wurzeln, Knollen, Blättern, Blüten und Samen. Man findet sie in Gemüsepflanzen, wie Sojabohnen, Erbsen, Spinat, Tomaten, Kartoffeln (Solanin) und Knoblauch, und sie sind darüber hinaus wirksame Bestandteile von Kräutern, Tee und Ginseng. In hoher Konzentration treten Saponine in Kastanien und in der Rinde des südamerikanischen Seifenrindenbaumes (Quillaja saponaria) auf, letztere wird auch Panamarinde genannt. Ferner findet man Saponine in marinen Kleinstlebewesen und Seewalzen (Holothurine), zu den wenigen tierischen Steroid-Saponinen zählen die Gifte der Seesterne. Die neutralen Steroid-Saponine sind oral ungiftig, können bei parenteraler Applikation („unter Umgehung des Verdauungstraktes“, z.B. durch Injektion) jedoch die Erythrozytenmembran zerstören (Hämolyse) und die Blutgerinnung hemmen. Sie sind für Fische stark toxisch, weshalb die Eingeborenen Afrikas und Südostasiens Saponinhaltige Pflanzensäfte für den Fischfang verwenden. Saponine dienen Pflanzen wahrscheinlich vornehmlich als Defensivstoffe, insbesondere vorbeugend gegen Pilzbefall (? chemische Schädlingsbekämpfung). Agavosid A hydrophiles Glycon HO OH Spiroacetal (Spiroketal) hydrophober Molekülteil 18-22 Steroid-Alkaloide Steroid-Alkaloide Als Steroid-Alkaloide bezeichnet man Stickstoff-haltige Steroide, die vorwiegend als Ester oder Glycoside in höheren Pflanzen, jedoch auch in einigen Tieren gefunden werden. Pflanzliche Steroid-Alkaloide sind vor allem in Nachtschatten- (Solanum), Lilien-, Hundsgift- und Buchsbaumgewächsen zu finden, tierische kommen u.a. in Amphibien vor. Erwähnenswert sind vor allem Solanin, das giftige Steroid-Alkaloidsaponin aus Tomaten und Kartoffeln, das bei der Reifung zum ungiftigen Steroid-Saponin denitrifiziert wird. Die Tomatenpflanze (Lycopersicon esculentum) enthält im Kraut bis zu 1.2% glycosidisch gebundene Steroid-Alkaloide mit Tomatidin (N-analoges Stereoisomer des Tigogenins, siehe oben) als Aglycon, grüne Früchte enthalten lediglich 0.03% Alkaloide, reife Früchte sind alkaloidfrei. Interessant ist auch das Neurotoxin (Nervengift) Batrachotoxin (griech.: batrachos, „Frosch“, und Toxin = „Gift“) kolumbianischer Pfeilgiftfrösche (insbesondere Phyllobates aurotaenia und Phyllobates terribilis). Batrachotoxin ist eines der stärksten bekannten Gifte (Inaktivierung der Natriumkanäle, „Krampfgift“), die tödliche Dosis liegt bei ca. 1-2 µg/kg Körpergewicht (ca. 15x stärker als Curare und 5000x giftiger als NaCN). Das Gift wird aber scheinbar von den Fröschen nicht selbst gebildet, sondern aus der Nahrung (Käfer der Gattung Choresine und der Familie Melyridae) aufgenommen. Tomatidin Solanidin Pfeilgiftfrosch Phyllobates aurotaenia Pfeilgiftfrosch Phyllobates terribilis Batrachotoxin Seite 18-23 Herzwirksame Steroid-Glycoside Steroid-Glycoside – Cardenolide Die herzwirksamen Steroid-Glycoside stellen Verbindungen mit einem charakteristischen Grundgerüst dar, die eine positiv inotrope (Kontraktilität und Leistungsfähigkeit steigernde) und negativ chronotrope (verlangsamende) Wirkung am Herzen aufweisen und daher zur Behandlung chronischer Herzinsuffizienz eingesetzt werden. An das Grundgerüst ist in Position 17 ein ungesättigter, 5- oder 6-gliedriger Lactonring gebunden der für die Wirksamkeit unbedingt erforderlich ist, und nach welchem die Cardenolide und Bufadienolide unterschieden werden. Cardenolide mit gesättigtem Lactonring werden als Cardanolide bezeichnet. Cardenolid Bufadienolid ?-Lacton d-Lacton 17 17 Die herzwirksamen Steroide zeigen eine starke Wirkung auf den Herzmuskel und regen in geringer Menge die Herztätigkeit an und verbessern den Wirkungsgrad des Herzens (Cardiotonika), in größeren Mengen wirken sie toxisch. Infolge der geringen therapeutischen Breite (Toxizität) und der damit verbundenen Gefahren werden sie heute zunehmend durch synthetische Derivate ersetzt. Diese Substanzen kommen als Glycoside z.B. in verschiedenen Fingerhut-Arten (Digitalis), in afrikanischen Strophanthus-Arten (Apocynaceae), in Oleander (Nerium oleander), im Frühlingsteufelsauge (Adonis vernalis) und im Maiglöckchen (Convallaria majalis) vor. Ähnliche Aglyca die aus Futterpflanzen stammen findet man in Wehrsekreten mancher Käfer (Chrysomelidae) und interessanterweise auch als Inhaltsstoffe der Hautdrüsen von Kröten (Bufadienolide) sowie in der Meerzwiebel (Urginea (Scilla) maritima). Die pharmakologische Wirkung dieser Verbindungen wurde bereits 1.500 v. Chr. erwähnt; sie zählen zu den ältesten Heilmitteln die man kennt. Bereits seit dem Mittelalter ist die Giftigkeit des Roten Fingerhuts (Digitalis purpurea) bekannt und seit 200 Jahren wird Digitalis zur Herztherapie verwendet. Die aktiven Prinzipien afrikanischer und südamerikanischer Pfeilgifte besitzen z.T. ebenso Strukturen dieses Typs. Die Aglyca selbst sind zwar für die pharmakologische Wirkung verantwortlich, zeigen jedoch aufgrund der raschen Metabolisierung keine nennenswerte Aktivität. Die in 3-Stellung der Steroidgenine gebundenen Zucker verzögern jedoch die Metabolisierung und sind für die Pharmakokinetik dieser Glycoside verantwortlich. Seite 18-24 Steroide – Cardenolide Digitoxin (Aglycon = Digitoxigenin) ist zusammen mit Digoxin (Aglycon = Digoxigenin) das wichtigste therapeutisch genutzte Digitalis-Glycosid und wird allem aus dem Roten Fingerhut Digitalis purpurea, dem Wolligen Fingerhut D. lanata, dem Großblütigen Fingerhut D. ambigua und dem Gelben Fingerhut D. lutea (Scrophulaceae) gewonnen. Beide sind in entsprechender Dosierung tödlich giftig, die letale Dosis beträgt jeweils ca. 100-175 µg/kg für den Menschen. Cardenolide kommen vor allem in den Pflanzenfamilien der Scrophulariaceen, Liliaceen, Ranunculaceen, Asclepiadaceen und Apocynaceen vor, die einzelnen Genine besitzen gegenüber Digitoxigenin zusätzliche Sauerstofffunktionen. Allen diesen Cardiotonika ist die cis-Verknüpfung der Ringe A/B und C/D (cistrans-cis-Gerüst, 5ß-Reihe) und eine Hydroxylgruppe in Position 14ß gemeinsam, Verbindungen der 5a-Reihe trans-trans-cis-Gerüst) sind wenig oder kaum herzwirksam.* Charakteristisch für die glycosidisch gebundenen Zuckerreste der herzwirksamen Cardenolide ist das häufige Auftreten ansonsten relativ seltener Desoxyzucker. X = H X = OH Digitoxigenin Roter Fingerhut (Digitalis purpurea) Wolliger Fingerhut (Digitalis lanata) Großblüt. Fingerhut (Digitalis ambigua) Gelber Fingerhut (Digitalis lutea) * Beachten Sie in dem 3D-Modell die besonders augenfällig abgeknickte Struktur von Digitoxigenin (zwei cis-Verknüpfungen) gegenüber der oben vorgestellten Struktur von Cholesterol. Digitoxin Digoxin Glycon = 2,6-didesoxyß-D-ribo-hexopyranose (= Digitoxose) Aglycon = X = H Digitoxigenin X = OH Digoxigenin 3 5ß 17 14 Seite 18-25 Steroide – Cardenolide 17 16 14 X = CH 3 X = CHO Uzarigenin Corotoxigenin 17 14 Ein weiterer, wichtiger Vertreter der 5ß-Cardenolide ist das Gitoxigenin, das aus dem Digitalisglycosid Gitoxin stammt und eine weitere Hydroxylgruppe an C-16 trägt. 5a-Derivate sind das Uzarigenin und das Corotoxigenin, Genine aus Glycosiden aus der südafrikanischen Uzarawurzel (Gomphocarpus-Art), aus Samen von Oleander (N. oleander) und Strophantus Boivinii. Ein therapeutisch wichtiges Glycosid ist das hauptsächlich in Strophantus hispidus (Hundsgiftgewächse Apocynaceae) vorkommende ?-Strophanthosid, woraus durch Totalhydrolyse der glycosidischen Bindungen das Aglycon Strophanthidin erhalten wird. Strophanthin ist das aktive Prinzip der Pfeilgifte aus Strophanthus-Samen, 0.07 mg bewirken bei einer 20 g schweren Maus bereits Herzstillstand. Strophanthidin ist außerdem das Aglycon verschiedener Glycoside des Maiglöckchens. O O O O O O Gitoxigenin Strophanthidin Uzara (Xysmalobium undulatum) Oleander (Nerium oleander) Strophantus hispidus Maiglöckchen (Convallaria majalis) 17 16 14 Seite 18-26 Steroide – Bufadienolide Bufadienolide OCH 3 Cotyledosid Cinobufagin Bufotalin Bufadienolide* kommen in den Pflanzfamilien Hyacinthaceae (Urginea-, Scilla- und Bowiea-Arten) und Ranunculaceae (Helleborus-Arten), sowie in Hautdrüsen von Kröten (Bufonidae ? Name) vor. Durch ihre Toxizität stellen Bufadienolidhaltige Pflanzen ein Problem in der Landwirtschaft dar (z.B. Südafrika). Vergiftungen (Nerven- und Muskelstörungen) von Tieren (Schafe) werden u.a. von dem Cotyledosid der Sukkulente Tylecodon wallichii hervorgerufen. Die durch Ausdrücken der Ohrspeicheldrüsen gewinnbaren Krötengifte enthalten Bufadienolide in freier Form. Cinobufagin ist das Haupt-Bufadienolid der ostasiatischen Kröte Bufo bufo gargarizans, deren Haut in der chinesischen Medizin zur Behandlung der Wassersucht eingesetzt wird. In den europäischen Kröten Bufo vulgaris und Bufo bufo ist vor allem Bufotalin enthalten. Sukkulente Tylecodon wallichii Bufo bufo gargarizans Bufo vulgaris Bufo bufo * Im Gegensatz zu Cardenoliden zeichnen sich Bufadienolide durch einen d-Lactonring (siehe oben) aus, auch hier sind die Ringe A/B und C/D cis-verknüpft. Seite 18-27 Steroid-Hormone Steroid-Hormone Androstan (? Androgene, C 19-Steroide) Estran (? Estrogene, C 18-Steroide) Pregnan (? Gestagene, C 21-Steroide) Neben den Sexualhormonen (Androgene, Estrogene = Östrogene und Gestagene) der Säugetiere gehören zu den Steroid-Hormonen auch die Hormone der Wirbellosen (Ecdysteroide), der Pflanzen (Brassinosteroide) und die Regulationsstoffe der niederen Pflanzen. Auch das oben bereits beschriebene Vitamin D-Hormon (Calcitriol) gehört als seco-Steroid in diese Klasse. Die Sexualhormone (Keimdrüsenhormone, Geschlechtshormone) sind verantwortlich für die Ausbildung der Geschlechtsorgane, der sekundären Geschlechtsmerkmale und für die Geschlechtsfunktionen des tierischen und menschlichen Organismus. Die Bildung der eigentlichen Sexualhormone, der männlichen Keimdrüsenhormone (Androgene) und der weiblichen Sexualhormone (Estrogene und Gestagene), erfolgt in den Hoden bzw. Ovarien unter der stimulierenden Wirkung der gonadotropen Hormone (nicht geschlechtsspezifische Proteohormone = biologisch aktive Glykoproteine) des Hypophysenvorderlappen und in geringerem Umfang auch in der Nebennierenrinde (? Nebennierenrinden- oder NNR-Hormone). Die Unterscheidung in männliche und weibliche Sexualhormone ist manchmal willkürlich, da sie in beiden Geschlechtern auftreten können, entscheidend für viele Funktionen ist aber das Konzentrationsverhältnis der einzelnen Hormone untereinander. Die Steroid-Hormone leiten sich strukturell vom tetracyclischen Kohlenwasserstoff Gonan ab, die Biosynthese verläuft in allen Fällen von Cholesterol ausgehend unter mehr oder weniger vollständigem Abbau der C-17-Seitenkette. Je nach Anzahl der C-Atome unterscheidet man die C19-Androgene (Androstanderivate), die C18-Estrogene (Estranderivate) und die C21-Gestagene (Pregnanderivate).* * Zu den Namen: Androgene (griech.: andro, „männlich“; gen, „erzeugend“); Estrogene, Östrogene (griech.: oistros, „Leidenschaft, Brunst“); Gestagene (griech.: gestatio, „Schwangerschaft“). 18-28 Steroid-Hormone 21 H3C 22 24 26 CH3 20 H 23 25 17 (D) 27 Cholesterol 2 NADPH 2 O 2, 2 H Cholesterol- Desmolase 2 NADP 2 H 2O (Cytochrome P 450) Spaltung der Seitenkette Aufgrund ihrer lipophilen Struktur können die Steroid-Hormone (im Gegensatz zu den polaren Peptidhormonen) über die Zellmembran in das Zellinnere eindringen und dort mit spezifischen Rezeptoren eine Genexpression auslösen. Die Steroid-Hormone stellen glanduläre Hormone dar, die in den entsprechenden Drüsen jeweils nur bei Bedarf produziert, nicht aber gespeichert werden. Die natürlichen Hormone werden relativ schnell wieder abgebaut und sind oral nur schlecht wirksam. Für therapeutische Zwecke (hormonelle Schwangerschaftsverhütung etc.) werden daher vor allem partialsynthetisch gewonnene künstliche Derivate mit verbesserter Bioverfügbarkeit eingesetzt. Die Biosynthese aller Androgene, Estrogene und Gestagene startet ausgehend von Cholesterol unter oxidativer Verkürzung der C-17-Seitenkette: Ein Cytochrom P450-abhängiges Enzym („side chain cleaving enzyme“, Cholestero- Desmolase) führt zu einer Dihydroxylierung und der anschließenden oxidativen Spaltung der C-C-Bindung (Cholesterol ? Pregnenolon): = 2 Einzelschritte 4-Methylpentanal Pregnenolon In weiteren biosynthetischen Umwandlungen wird dann Pregnenolon in die unterschiedlichen (männlichen und weiblichen) Steroid-Hormone umgewandelt, eine knappe Übersicht gibt das Formelschema auf der nächsten Seite: Seite 18-29 Biosynthese der Steroid-Hormone Pregnenolon 11-Desoxycorticosteron OH Dehydro-epi-androsteron Progesteron Androstendion * Siehe: http://www.genome.jp/kegg/pathway/map/map00140.html und http://www.genome.jp/kegg/pathway/map/map00150.html Estron Estradiol Corticosteron OH Aldosteron Für weitere Details siehe die hinten angegeben Auszüge und Übersichten aus der Datenbank KEGG: Kyoto Encyclopedia of Genes and Genomes.* Seite 18-30 Steroid-Hormone – Androgene Androgene – Männliche Geschlechtshormone Testosteron 5a 3 5a Die Androgene (griech.: andros, „Mann“; gen, „erzeugend“) werden gewöhnlich auch als männliche Geschlechts- oder Keimdrüsenhormone bezeichnet, obwohl sie auch im weiblichen Organismus vorkommen. Zu den wichtigsten Androgenen gehören Testosteron, Androsteron, Dihydrotestosteron und das Androstendion, sie werden alle ausgehend von Cholesterol über die Stufe Pregnenolon biosynthetisiert (siehe Formelschema oben). Testosteron wird auf Veranlassung der gonadotropen Hormone in den Leydigschen Zellen (Interstitialzellen) des Hodens freigesetzt und wurde erstmals 1935 (Laqueur) aus Stierhoden isoliert. Für die biologische Wirkung von Testosteron ist die Doppelbindung an C-4 ausschlaggebend, die Wirksamkeit ist etwa 7mal besser als die von Dihydrotestosteron ohne diese Doppelbindung. Es bewirkt die Ausbildung der Geschlechtsmerkmale des Mannes, fördert die Entwicklung der Muskulatur und des Knochenaufbaus, das Wachstum von Haaren, Stimmbändern, Penis, Prostata und Samenblase. Testosteron ist unerlässlich für die Funktion der akzessorischen Geschlechtsdrüsen und für die Aufrechterhaltung von Potenz und Libido. Der erwachsene Mann erzeugt ca. 7 mg Testosteron/Tag, im Organismus der Frau werden etwa 0.3 mg/Tag produziert. Androsteron ist das wichtigste Abbau- und Ausscheidungsprodukt des Testosterons, das 1931 als erstes Androgen aus Männerharn isoliert wurde (Butennandt und Tscherning). Bei Androsteron sind Keto- und Hydroxyfunktion gegenüber Testosteron vertauscht, außerdem fehlt die Doppelbindung im A-Ring. In der Prostata wird Testosteron durch eine Reduktase zu 5a-Dihydrotestosteron, dem aktiven Androgen der Prostata, reduziert. Estrogene hemmen diese 5a-Reduktase-Aktivität und werden bei Prostatakarzinomen eingesetzt. Androstendion ist ebenfalls ein Abbauprodukt der Androgene. Androstendion Seite 18-31 Steroid-Hormone – Androgene Androgene weisen neben der Geschlechts-spezifischen auch anabole („aufbauende“) Wirksamkeit auf (anabole Steroide), d.h. sie fördern den Eiweißaufbau, vergrößern die Muskelmasse und bewirken eine Erhöhung der Stickstoffretention. Als Wirksamkeitstest für Androgene diente früher der sogenannte Hahnenkamm- oder Kapaunentest: Die Androgenzufuhr bewirkt bei kastrierten Hähnen die Vergrößerung des zuvor degenerierten Kammes, einem sekundären Geschlechtsmerkmal der Tiere. Testosteron ist oral unwirksam, intramuskulär werden meist länger wirksame Ester appliziert. Die meisten synthetischen Anabolika (? Trennung der androgen und anabolen Wirkungsmechanismen), die als aufbauende Mittel zur Muskelentwicklung (illegal) eingesetzt werden und stark reduzierte androgene Wirksamkeit besitzen, leiten sich strukturell vom Testosteron ab, wie z.B. Nandrolon (19-Nor-Testosteron), Metandienon, Stanozolol oder Dehydrochlormethyltestosteron. Anabole androgene Steroide wurden als Dopingmittel erstmals 1976 verboten, 1984 wurde auch die Anwendung von körpereigenem, jedoch exogen („von außen“) zugeführtem Testosteron verboten. Nandrolon Metandienon Testosteron-Propionat Stanozolol (Stanzol™) Doping Monster-Anabolika methyltestosteron Seite 18-32 Steroid-Hormone – Estrogene (Östrogene) Estrogene – Weibliche Geschlechtshormone Estrogene (Östrogene, lat.: oestrus, „Leidenschaft, Brunst“; gen, „erzeugend“), weibliche Geschlechtshormone, werden nach ihrem Hauptbildungsort auch als Follikelhormone bezeichnet. Sie sind verantwortlich für die Entwicklung der weiblichen Geschlechtsorgane und für die Regulation des ersten Abschnitts des weiblichen Menstruationscyclus. Sie regulieren die Ausschüttung der gonadotropen Hormone und stimulieren die Lipid-Synthese. Zu den im menschlichen Organismus zirkulierenden Estrogenen gehören Estradiol, Estron und das Estriol, ein Stoffwechselprodukt mit nur geringer estrogener Aktivität. Charakteristische Strukturmerkmale sind die phenolische C-3-OH-Gruppe und der aromatische A-Ring, der das Fehlen der 10-Methylgruppe zwingend erforderlich macht. Estradiol (Östradiol), das wirksamste Estrogen, wird in den Ovarien, wahrscheinlich in den reifenden Follikeln, und während der Schwangerschaft in der Plazenta produziert und löst die Proliferation des Endometriums, der Uterus-Schleimhaut, als erste Phase der Menstruation aus. Gemeinsam mit dem Peptidhormon Relaxin bewirken die Estrogene die Erweiterung des Geburtskanals. Estradiol wird zur Behandlung von Menstruationsbeschwerden und zur Therapie bei klimakterischen Beschwerden verwendet, und nach der Menopause zur Behandlung von Brustkrebs und Osteoporose. Allgemein finden Estrogene therapeutische Anwendung bei Estrogen-Mangelerscheinungen der Frau, wie z.B. bei Sterilität und Frigidität. Estradiol wurde 1935 aus Ovarien (Doisy) isoliert, drei Jahre vorher wurde es bereits durch Reduktion des Estrons (Schwenk und Hildebrandt, 1932) gewonnen, Estron wurde erstmals 1929 aus Schwangerenharn (Butenandt, Doisy) isoliert. Spurenweise kommt es wie auch Estriol (Östriol) in einigen Pflanzen (z.B. im Palmkernöl) vor. Estriol ist ein Abbauprodukt der eigentlichen Estrogene Estradiol und Estron und kommt mit diesen in Ovarien, Placenta, Schwangeren-Harn und Nebennieren vor. 17ß-Estradiol 17 17 Estron Estriol Seite 18-33 Steroid-Hormone – Estrogene (Östrogene) 19 CH3 H = 3 Einzelschritte Aromatase 2 NADPH 2 NADP (A) H H 2 O2, 2 H 2 H2O (A) Testosteron NADPH O 2, H HO OH O H (Cytochrome P 450) NADP H2O Fe Keto-Enol- Tautomerie III (A) (A) NADP H2O O Fe III Interessanterweise sind die weiblichen C 18 -Hormone (Estrogene) eine biosynthetische „Weiterentwicklung“ der männlichen C 19 -Hormone (Androgene): Wie aus dem Schema oben ersichtlich, wird Estron bzw. Estradiol biologisch über die Stufe von Androstendion bzw. Testosteron gebildet. Beide Synthesewege (Androstendion ? Estron bzw. Testosteron ? Estradiol) werden zudem durch das gleiche Enzym einer sogenannten „Aromatase“ bewerkstelligt. Die Aromatisierung des A-Rings (und die damit verbundene Voraussetzung der Entfernung der C-19-Methylgruppe) erfolgt durch den Cytochrom P 450 -abhängigen „Aromatase“-Komplex und beginnt mit einer zweistufigen Oxidation der Methylgruppe zum Aldehyd (-CH 3 ? -CH 2 OH ? -CHO). Anschließend wird von dem gleichen Enzym über einen Fe III - Peroxid-Komplex das Kohlenstoffatom C-19 als Formiat abgespalten, wobei der aromatische Ring ausgebildet wird:* NADPH O 2, H - H 2O Fe III Formiat Estradiol * Die seltene Aromatase-Reaktion ist insofern besonders, als dass die Natur allgemein große Schwierigkeiten mit der Chemie (Synthese und Abbau) der benzoiden Aromaten hat! Seite 18-34 Steroid-Hormone – Estrogene (Östrogene) Anmerkung: Die eindrucksvolle Syntheseleistung der Natur wird deutlich, wenn berücksichtigt wird, dass alle Androgene und Estrogene letztendlich über Cholesterol und Pregnenolon aufgebaut werden. Oben wurde festgestellt, dass insgesamt 35 Syntheseschritte von Acetat bis Cholesterol benötigt werden, von dort sind es drei weitere zum Pregnenolon und nochmals vier Stufen zum Testosteron; die Damen benötigen dann noch drei weitere Einzelschritte bis zum Estradiol. In der Summe muss die Biosynthese zum Aufbau von Testosteron bzw. Estradiol aus Acetat damit 42 bzw. 45 Einzelschritte durchlaufen – wobei noch nicht einmal die Regeneration der benötigten „Reagenzien“ mitgerechnet wurde. Synthesen dieser Art sind im Labor nur extrem schwer und mit sehr hohem Zeit- und Personalaufwand realisierbar! Die Wirkung der Estrogene ist nicht sehr spezifisch, als Voraussetzung für estrogene Wirkung genügt wahrscheinlich die Anwesenheit von zwei Hydroxylgruppen in einem bestimmten Abstand im Wirkmolekül. Der gleiche O … O-Abstand wie in Estradiol ist auch bei Nicht-Steroid-Verbindungen gegeben, so wurde zur Erleichterung von Hormon- Mangelbeschwerden und zur Wachstumsanregung von Rindern* synthetisches Diethylstilböstrol (Stilböstrol) und Hexöstrol verwendet, Tri-p-anisylchlorethylen (TACE) stellt ein weiteres synthetisches Estrogen-Substitut dar. Ähnlich sind verschiedene natürlich vorkommende Stilbenderivate wie z.B. Rhaponticin oder manche Isoflavone wie Genistein estrogen wirksam. Estrogene in Futterpflanzen werden für das Auftreten von Fertilitätsstörungen bei Weidetieren verantwortlich gemacht. 17ß-Estradiol Diethylstilbestrol (DES) Hexöstrol OCH 3 Tri-p-anisylchlorethylen (TACE) OCH 3 * Da beim Verzehr von Fleisch, das nicht-natürliche Estrogene enthält, Schäden auftreten können, ist mittlerweile die Anwendung jeglicher Estrogene zur Tiermast in Deutschland verboten. Seite 18-35 Steroid-Hormone – Estrogene (Östrogene) Inzwischen kennt man eine ganze Reihe von sowohl nicht-steroiden Synthesechemikalien wie auch Naturstoffen, die estrogenähnliche Wirkung besitzen und Einfluss auf das Hormonsystem ausüben können. Kommen solche Verbindungen in die Nahrungskette bzw. in die Umwelt, kann es zu Schädigungen der menschlichen Gesundheit und Veränderungen des Reproduktionsverhaltens von Tieren kommen. Viele Pestizide, Herbizide und Fungizide sowie Phenole besitzen unerwünschte bzw. einen Verdacht auf unerwünschte Estrogenwirkung. Zu den natürlich vorkommenden Phytoestrogenen werden z.B. Citral, Cumestrol, Genistein, Quercetin, Tetrahydrocannabiol und Luteolin gezählt, die in einer Vielzahl von Testsystemen estrogene Wirkung zeigten. Estrogene beeinflussen sowohl die Kurz- als auch Langzeitaktivität des Gehirns und wirken auf Lernen und Gedächtnis. Klinische Studien zeigten eine Korrelation zwischen verbesserter Hirnleistung und dem Estrogenspiegel im Blut. Estrogengaben können damit auch das Risiko einer Alzheimerschen Erkrankung senken. Estrogene werden bei oraler Gabe schlecht resorbiert und außerdem rasch abgebaut, therapeutisch werden daher länger wirksame Ester des Estradiols eingesetzt. Oral gut wirksame Estrogene wurden durch Einführung einer Ethinylgruppe in 17a-Stellung erhalten und finden Verwendung in Ovulationshemmern (siehe unten). Kugel-Stab-Modell von Estradiol CPK-Modell von Estradiol Seite 18-36 Steroid-Hormone – Gestagene Gestagene – Schwangerschaftshormone, Gelbkörperhormone Die Gestagene, auch Schwangerschaftshormone oder Gelbkörperhormone genannt, sind die zweite Gruppe der weiblichen Geschlechtshormone. Sie werden während der Schwangerschaft (Gravidität) gebildet und verhindern einen weiteren Eisprung. Als Gestagene, die für die Vorbereitung der Uterusschleimhaut (Endometrium) für die Aufnahme des befruchteten Eies verantwortlich sind und dessen Abstoßung verhindern, wirken das Progesteron (Gelbkörperhormon, Luteohormon) und das Pregnenolon. Das wichtigste Schwangerschaftshormon, Progesteron, wird nach der Ovulation vom Gelbkörper (Corpus luteum) der Ovarien sezerniert, einem Carotin-haltigen Gewebe, das sich nach dem Eisprung bildet und etwa 2 Wochen bis zu seiner Rückbildung arbeitet. Im Falle einer Schwangerschaft wird das Corpus luteum jedoch erst im 4. Schwangerschaftsmonat rückgebildet und die Progesteronproduktion anschließend von der Placenta übernommen. Die Progesteron-Bildung wird bei der Frau durch das Peptidhormon Lutotropin gesteuert, bei manchen Tierarten ist Prolactin beteiligt. Progesteron wird klinisch zur Verhütung eines Abortus eingesetzt und zur Regulation bei Cyclusstörungen. Es ist Bestandteil von Ovulationshemmern und findet Anwendung in der tierischen Reproduktion (zur Auslösung der Brunst und zur Cyclussynchronisation in der Tierhaltung). Pregnenolon entsteht biosynthetisch aus Cholesterol und ist eine Vorstufe des Progesterons und der Androgene. In der Leber wird Progesteron zum Pregnandiol abgebaut, das als Glucuronid ausgeschieden wird und während der Schwangerschaft aus dem Urin der Frau isoliert werden kann. Verminderte Ausscheidung kann auf eine drohende Fehlgeburt hinweisen. Die Gestagene wirken nach parenteraler Applikation nur kurz und werden bei oraler Applikation nur schlecht resorbiert, Progesteron selbst ist oral appliziert inaktiv. Durch chemische Modifizierung werden geeignete Verbindungen erhalten, die vor allem als Kontrazeptiva Verwendung finden. Progesteron 17 17 Pregnenolon R = H R = CH 3 18-37 Steroid-Hormone – Ovulationshemmer Ovulationshemmer – Kontrazeptiva, Antibabypille 17a-Ethinyl-estradiol Mestranol Norethisteron Da die Produktion der gonadotropen Hormone der Hypophyse durch die zirkulierenden Steroide beeinflusst wird, lässt sich durch Estrogen- und Gestagengaben die Ausschüttung bestimmter Proteohormone unterdrücken. Wird die Hypophysentätigkeit gebremst und kein Zwischenzellen-stimulierendes Hormon (Interstitialzellen stimulierendes Hormon ICSH) produziert, wird die Ovulation verhindert, man kann eine Pseudoschwangerschaft erzeugen und damit die Befruchtung verhindern (Kontrazeptiva, Antibabypille). Zur Blockierung der Peptidhormon-Synthese in der Hypophyse gesellt sich noch die Verdickung und Auflockerung der Gebärmutterschleimhaut, die zusätzlich das Vordringen der Spermien und die Fruchteinbettung verhindert. Angewandt werden meist Kombinationspräparate aus Estrogenen und Gestagenen, "Minipillen" dagegen enthalten nur Gestagene und müssen acyclisch ständig eingenommen werden. Wegen ihrer raschen Metabolisierung in den Verdauungsorganen wirken diese Ovulationshemmer oral nur äußerst schwach. Eine Wirkungssteigerung und verzögerte Metabolisierung weisen die von Inhoffen und Hohlweg 1938 eingeführten 17-Ethinylderivate von Estrogenen und Gestagenen auf. 17a-Ethinyl-estradiol bzw. dessen 3-Methylether Mestranol sind Beispiele für hochpotente Estrogene, die bis heute die estrogenen Bestandteile von Ovulationshemmern geblieben sind. Mit dem 17a-Ethinyltestosteron konnte das erste oral wirksame Gelbkörperhormon hergestellt werden. Später gewannen Djerassi und Colton 17a-Ethinyl-19-nor-testosterone wie Norethisteron und Norethisteronacetat, die als gestagene Komponenten in Ovulationshemmern klinisch verwendet wurden. Antibabypille Eine Alternative Seite 18-38 Steroide – Corticoide Nebennierenrinden-Hormone – Corticoide, Corticosteroide, Cortine Nebennierenrinden-Hormone (NNR-Hormone: Corticoide, Corticosteroide oder Cortine) werden in der Rinde der Nebennieren (Cortex glandulae suprarenalis), zwei erbsengroßen und lebenswichtigen Organen über den Nieren, unter dem Einfluss des adrenocorticotropen Hormons (ACTH, Corticotropin) gebildet. Über 30 verschiedene natürliche Nebennierenrinden-Hormone wurden identifiziert, aber nur wenige zeigen ausgeprägte Hormonwirkung, unter denen sich die die wirksamen Corticoide Cortison, Cortisol, 11-Dehydrocorticosteron, Corticosteron, Cortexolon und Cortexon befinden, die anderen sind meist Biosynthese-Zwischenstufen oder Abbauprodukte. Corticosteron und Cortisol machen ca. 60-95 % dieser Hormone aus; zur Biosynthese siehe u.a. das Formelschema oben. Cortinmangel führt zur Bronzefärbung der Haut, zu Muskelschwäche und Erhöhung des Harnstoffgehalts im Blut, bei Ausfall der Nebennieren tritt innerhalb von wenigen Tagen der Tod ein. Cortin-Überfunktion ergibt bei Kindern vorzeitige geschlechtliche Entwicklung. Bei körperlichem oder seelischem Stress ist die Ausschüttung von Nebennieren- Hormonen besonders gesteigert, wobei Adrenalin, Noradrenalin und Cortin ausgeschieden werden. Alle drei Hormone sind lebensnotwendig, die Bildung von Cortin ist jedoch wichtiger, da es nur von den Nebennieren abgegeben wird, während Adrenalin und Noradrenalin auch aus anderen Organen abgegeben werden. Bei hohen Dosen haben die Corticoide oft andere pharmakologische Eigenschaften, und es tritt die entzündungshemmende und antiallergische Wirkung in den Vordergrund. X = H X = OH Corticosteron Cortisol X = H X = OH 11-Dehydrocorticosteron Cortison X = H X = OH Cortexon Cortexolon Seite 18-39 Steroide – Corticoide Alle Corticoide sind C21-Steroide der Pregnan-Reihe, besitzen eine a,ß-ungesättigte Carbonylgruppe im A-Ring und eine Ketolseitenkette in C-17. Je nach Wirkung unterscheidet man Glucocorticoide, für die eine zusätzliche 11- Sauerstoff-Funktion typisch ist, und Mineralocorticoide. Erstere steuern den Kohlenhydratstoffwechsel, stimulieren die Gluconeogenese und erhöhen dadurch den Blutzuckerspiegel, letztere regulieren den Mineralstoffwechsel und Elektrolythaushalt. Androgen wirken die Androcorticoide, zu denen Androstendion, Adrenosteron und Testosteron gehören, die zwar hauptsächlich als Keimdrüsenhormone in den Hoden, aber zum Teil auch in der Nebennierenrinde gebildet werden. Weibliche Analoge sind die Estrocorticoide (Estrogene). Die Glucocorticoide sind vor allem wegen ihrer entzündungshemmenden, antiallergischen, antirheumatischen und immunsuppressiven Wirkung von Bedeutung. Die antiinflammatorische Wirkung der Corticoide wird in der Therapie zahlreicher Krankheiten wie z.B. Rheumaerkrankungen, Asthma, Hepatitis, Nephrose und verschiedenen Blutkrankheiten genutzt. In der Dermatologie sind lokal wirksame Corticoide bei der Behandlung von Hautkrankheiten unentbehrlich. Physiologisch vorkommende Glucocorticoide sind Cortison, Cortisol, Corticosteron und 11- Dehydrocorticosteron. Cortisol (Hydrocortison) besitzt die stärkste glucocorticoide Wirkung, Corticosteron, das in der Nebennierenrinde durch zweifache Hydroxylierung aus Progesteron entsteht, und 11-Dehydrocorticosteron zeigen bereits eine gewisse mineralocorticoide Aktivität. Cortison wird seit über 40 Jahren zur Behandlung gegen Gelenksrheumatismus (Polyarthritis) verwendet. Trotz der Nebenwirkungen lassen sich durch gezielte Dosierung die unerwünschten Wirkungen soweit zurückdrängen, dass die Cortisonbehandlung heute erheblich risikoärmer ist als früher. Durch synthetische Modifikation der Struktur des Cortisons wurden Antirheumatica und Antiphlogistica erhalten, bei denen gleichzeitig die unerwünschte glucocorticoide und mineralocorticoide Wirkung zurückgedrängt ist. Modell von Niere und Nebenniere Wirkstoff: Hydrocortison (Creme) Schuppenflechte (Psoriasis) Neurodermitis (atopische Dermatitis) Seite 18-40 Steroide – Ecdysone, Phytoecdysteroide und Brassinolide Ecdysone und Phytoecdysteroide Ecdysone (Ecdysteroide) sind eine Klasse von Steroiden mit Hormonwirkung bei Insekten. Sie lösen bei den Insekten Häutungsprozesse aus und sind als Verpuppungsoder Häutungshormone für die Entwicklung der einzelnen Larvenstadien verantwortlich. Charakteristisch für die Ecdysone ist die 14a-Hydroxylgruppe, z.B. a-Ecdyson des Seidenspinners Bombyx mori (Bombycidae) und ß-Ecdyson, das ebenso aus Insekten isoliert wurde und identisch mit dem Häutungshormon der Krebse (Crustecdyson) ist. In ca. 1.000mal höheren Konzentrationen wurden Ecdysone in Pflanzen (Phytoecdysteroide), vor allem in Farnen, Eiben, Eisenkraut und Fuchsschwanzgewächsen, mit Wirkung als Insektenhormone nachgewiesen. Aus Steineiben (Conifere podocarpus) wurde das Ponasteron isoliert. Brassinolide Brassinolide, isolierbar z.B. aus Raps (Brassica napus), sind Pflanzenhormone mit Steroidstruktur, die in Konzentrationen von 10µg/Pflanze das Pflanzenwachstum fördern. Bemerkenswert sind die (22R)-Hydroxylgruppe und das siebengliedrige B-Ring-Lacton, das bisher noch in keinem anderen natürlichen Steroid gefunden worden ist. a-Ecdyson: Bombyx mori ß-Ecdyson: Cyanotis arachnoides Steineibe (Conifere podocarpus) Raps (Brassica napus) Anmerkung: Die folgenden Seiten geben nochmals Übersichten aus der KEGG Datenbank. Die Reaktionswege haben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit; Orange Markierungen: siehe Skript. a-Ecdyson ß-Ecdyson 22 H Brassinolid Seite 18-41 Biosynthese der Steroide* * Auszug aus der Datenbank KEGG: Kyoto Encyclopedia of Genes and Genomes: http://www.genome.jp/kegg/pathway/map/map00100.html Seite 18-42 Biosynthese der Gallensäuren* * Auszug aus der Datenbank KEGG: Kyoto Encyclopedia of Genes and Genomes: http://www.genome.jp/kegg/pathway/map/map00120.html Seite 18-43 Biosynthese der C 21-Steroid-Hormone* * Auszug aus der Datenbank KEGG: Kyoto Encyclopedia of Genes and Genomes: http://www.genome.jp/kegg/pathway/map/map00140.html Seite 18-44 Biosynthese der Androgen- und Estrogen-Steroide* * Auszug aus der Datenbank KEGG: Kyoto Encyclopedia of Genes and Genomes: http://www.genome.jp/kegg/pathway/map/map00150.html